Vor der Bestandsaufnahme werden unzugängliche Bauteilbereiche freigelegt,
soweit dort wesentliche Erkenntnisse für die Aufgabenstellung zu erwarten
sind: Bauart, Umfang der Bauschäden und die davon abhängigen
Maßnahmen. Man muß nicht immer Fachwerkkonstruktionen skelettieren,
jedem Holzschädling seinen Vornamen verleihen und historische
Schichten bis zum Urzustand abräumen, um eine Baureparatur vorzubereiten.
Bestandspläne im Maßstab der Ausführungsplanung sind für die Zustandsbewertung sinnvoll. Das kann bei Fenstern
durchaus 1:100, weit öfter aber 1:25-1:1 sein. Die üblichen Rahmenverziehungen, Fehlreparaturen durch nachträgliches
Einfräsen von Nuten für Lippendichtungen mit bösen Folgen für die Schließfunktion und das Einregnen in
plötzlich klaffende Flügel-Rahmenanschlüsse, alte Baufehler oder durch Beschlagverformung hervorgerufene zu große
Abstände zwischen den aufeinanderschlagenden Flügelfalzen bzw. Aufstreifen der Flügel auf das Rahmenholz - meßbar
durch eingebrachte Knetmasse, unzureichende Profilierung, Entwässerung bzw. Anordnung der Wasserrinnen usw. usf.
sind nur bei ausreichend detaillierter zeichnerischer Bestandsaufnahme zuverlässig feststellbar und damit auch bei der Detailplanung
so zu berücksichtigen, daß sich die Beteiligten nicht danach vor Gericht wiedersehen, weil es durch die so teuer instandgesetzten Fenster danach
mehr regnet, als vorher.
Der Umfang der vorbereitenden Maßnahmen hängt wesentlich von der ersten Einschätzung des Baubefundes ab. Sie sollte bei Baudenkmalen in Zusammenarbeit mit dem Denkmalpfleger vorgenommen werden. Das hat den Vorteil, daß später keine diesbezüglichen Genehmigungsschwierigkeiten zu erwarten sind, der Denkmalpfleger bei den ggf. erforderlichen baurechtlichen Ausnahmen (EnEV, Brandschutz, ...) auf Seiten des Bauherrn unterstützend mitwirkt, weitere Fachleute vermitteln und letztlich schon den Aufwand der Bauvorbereitung finanziell fördern kann. Wie immer ist alles Verhandlungssache...
Für die unterschiedlich konstruierten Fenster stehen wie für alle sonstigen Bauteile des Gebäudes jeweils eigene Erfassungsblätter zur Verfügung. Sie eignen sich für die üblichen Konstruktionen und sind für Sonderbauteile ergänzbar. Der Fensteranschlag darf dabei nicht vergessen werden: Natursteingewände und Fachwerkrahmen sind für sich zu erfassen. Auf Grundlage der vorher vergebener Raumnummern werden die Fenster im Bestandsplan und Erfassungsblatt mit F bezeichnet - z.B.: E 17/F1. Die Blätter werden im Büro vor der Erfassungskampagne vorbereitet. Die Anpassung an die jeweilige Aufgabenstellung gelingt einfach, da die Formulare als Excel-Daten vorliegen. Dabei werden die Fensternummern, Erfassungsskizzen und sonstigen Konstruktionsangaben soweit wie möglich schon eingetragen. Sinnvoll ist die "Probeaufnahme" einiger unterschiedlicher Konstruktionen vor der eigentlichen Erfassung. Organisatorische und konstruktive Konfliktpunkte lassen sich so rechtzeitig entdecken und klären.
Der Zustand der Konstruktionsbauteile vom Gewände bis zum Streifdraht des Vorreibers sollte zunächst möglichst zerstörungsfrei nur durch qualifizierte Besichtigung untersucht werden auf:
- allgemeinen Zustand und erforderlichen Sofortsicherungsbedarf;
- Bauteildeformationen und Brüche;
- sichtbare Schäden / Mägel an Bauteilverbindungen und Verbindungsmitteln,
- Merkmale tierischer und pflanzlicher Holzschädlinge;
- Montagekonflikte in zukünftigen Arbeitsbereichen, spätere Putzanschlußprobleme, Fugenausbildung;
- Bauteilsicherungsbedarf während der Instandsetzung (Notfenster und Schutzverkleidung);
- Nässespuren, Dichtheitsprobleme (durch Überpinselei zu dicke Malschichten, Profilverformungen, klaffende
Fugen an den äußeren Rahmen-Flügel-Anschlüssen bzw. Profilüberdeckungen und sonstige
Schadensmerkmale, aus denen sich dann wesentliche Anforderungen an die zukünftige Belastbarkeit, die Reparaturstrategie
und ggf. erforderliche Konstruktionsergänzung/-änderung ergeben;
- Spuren früherer Baumaßnahmen (Reparaturen/Sicherungen/Verformung der Beschläge durch unzureichende Nachdichtungsmaßnahmen, die zu hohen Anpreßdruck auslösten);
- besondere Formgebung sowie Bemalung, Schnitzerei, Verkleidungen;
- Spuren verlorengegangener Bauteile, wie Außen- und Innenläden, Winterfenster usw.;
- ungünstige äußere Einwirkungen wie mangelnder Dachüberstand, undichte Anschlußausbildung z.B. bei
Dachfenstern oder äußere Verblechung/Verkleidung, erhöhte geschoß- bzw. lagebedingte Witterungsbeanspruchung auf
Anschlag, Falz und Wetterschenkel.
- mangelhafte Beschichtung der Fugen zwischen Fensterrahmen und Glasscheibe innen und außen
- Sonstige Anstrichdefekte
Ein umfangreiches Schadensbild kann zusätzliche Eingriffe erfordern: Bauteilfreilegung und zerstörungsarme Untersuchung durch Einstechen mit Schraubenzieher oder Taschenmesser. Konstruktionsaufbau und tiefere Bestandszerstörung, besonders im verdeckten Rahmenbereich, können so beurteilt werden.
Die Dokumentation der Untersuchungsergebnisse in den Erfassungsblättern erfolgt ohne fehlerprovozierende Zwischenstufen direkt im Bau. Dies entspricht der Vorgehensweise beim verformungsgetreuen Aufmaß nach Mader [4].
Die Fensterkonstruktion wird zunächst grafisch skizzenhaft in geeigneten Projektionen und Maßstäben dokumentiert, ggf. ergänzend zu detaillierteren maßstabsgetreuen Bestandsaufmaßen. Die erfaßten Bauschäden werden in die vorbereiteten Bauzeichnungen bzw. in bei der Untersuchung ergänzten Bauteilskizzen lagegetreu eingetragen. Daraus entstehen später Ausführungszeichnungen.
In einem zweiten Schritt werden die Konstruktionselemente schriftlich erfaßt. Dafür bietet das Raumbuchsystem entsprechende Bauteilbezeichnungen "vom Groben ins Feine" katalogartig - als "multiple choice". Diese werden mit Baumaßen und Mengenangaben ergänzt. Das Streichen der unzutreffenden Bauteilvorgaben oder ein Nachtrag kennzeichnen vorgefundene Baukonstruktionen.
Für Zustandsmerkmale und die dadurch erforderlichen Maßnahmen existiert ein Nummernkatalog. Jedem Bauteil wird in seiner Zeile sein Erhaltungszustand über das Nummernsystem aus dem "Zustandskatalog" in den vorgesehenen Spalten zugeordnet, danach die erforderlichen Maßnahmennummern - jeweils mit Maß- und Mengenangaben. Die Auswahl der Maßnahmen korrespondiert mit dem Zustandskatalog. Die mengengerechte Zuweisung liefert der späteren Mengenberechnung für die Kostenberechnung und Vergabe die Datengrundlage. Zuletzt trägt der Bearbeiter seinen Namen mit Datum in der entsprechenden Zeile ein. Fertig ist das "Roh-LV".
Bei geringem Maßnahmenbedarf dokumentiert man nur die Schäden. Übertriebene Vollständigkeit ist sinnlos. Ergänzend werden die Bauteile fotografiert. Zunächst genügen der Weiterbearbeitung Kontaktabzüge, mit späteren Vergrößerungen nach Bedarf.
Der Bestandsaufnahme folgt die Büroplanung. Die Erfassungsblätter liefern die dafür notwendigen Grundlagen. Da die gesamte Bestandsaufnahme maßnahmen-, d.h. streng zielbezogen erfolgt, unterbleibt jeder aus Sicht des Bauherrn überflüssige Erfassungsaufwand. Das Raumbuchsystem dient vorrangig der Substanzerhaltung, erst nachrangig liefert es "wissenschaftlich" verwertbare Daten - in klarer Sprache, deutlicher Schärfe und gebotener Kürze.
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