Kapitel 6 - Mörtel: Seite 1 2 3 4 5 6 Kapitel 7 - Anstriche: Seite 1 2 3 4 5
Durch geeignete Zusatzmittel können sich
bei der Abbindung von Luftkalkmörtel spitzprismatische und skalenoedrische
Calcitkristalle bilden, die dem Mörtelgefüge bessere Verzahnung
und höhere Dauerstabilität verleihen:
[1] Calcit - Mögliche Kristallformen, von links: a-skalenoedrisch;
b-spitzprismatisch; c-prismatisch; d- rhomboedrisch
[1] aus Peter Boos: Mineralogische und physikomechanische Untersuchungen an Mörtelsystemen aus dem Aufgabenbereich der Baudenkmalpflege, Diplomarbeit zur Erlangung des Grades eines Diplom-Mineralogen im Fachbereich Chemie der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster, Münster 1998
Dabei ist zur Erhärtung des Luftkalkmörtels zu unterscheiden in physikalische Erhärtung mittels Wasserabgabe im Trocknungsprozeß (Adhäsion am Untergrund / Kohäsion des Mörtels in sich) und nachfolgende chemische Erhärtung mittels Kohlendioxidaufnahme und Umwandlung des Kalkhydrats in Kalkkarbonat (Kalkstein). Durch mineralische Zusatzmittel im Promillebereich und richtige Fraktionierung läßt sich dieser Prozeß gewaltig verbessern, ebenso die strukturentscheidende Mikroporosität. Nicht nur das physikalische und chemische Erhärten, auch die Wasseraufnahme und -abgabe sowie die Frost-Tauwechsel-Beständigkeit und Salzstabilität können damit wesentlich verbessert werden.
Zur Erhärtung schreibt Heinrich Schmitt in "Hochbaukostruktion", Bertelsmann 1974, S. 125:
"Luftkalke [...] erhärten durch die Verbindung mit der Kohlensäure der Luft und durch Abgabe des freiwerdenden Wassers (Verdunsten)."
und S. 128:
"Dem Luftkalkmörtel wird, nachdem er vermauert ist, zunächst durch die Mauersteine ein Teil des Anmachwassers entzogen, er verfestigt sich etwas, er "zieht an". Dann erfolgt der Abbindeprozeß und nach dessen Beendigung die Nacherhärtung. Durch Aufnahme von Kohlensäure, die sich aus dem Kohlendioxid der Luft, dem Mörtelwasser und der Luftfeuchtigkeit bildet, erhärtet der gelöschte Kalk wieder zu Kalkstein."
Von dem Institut für Baustoffe der Fakultät Bauingenierwesen der TU Dresden wird dazu ausgesagt (Baukalke.pdf):
"Erhärtung Luftkalke
1. Phase: Austrocknung
Das an den feinsten Ca(OH)2-Teilchen
absorbierte Wasser bringt "Verfestigungseffekt"
-> Anfangsfestigkeit bei Mauermörteln
-> ermöglicht Baufortschritt
2. Phase: Karbonatisierung
= endgültige Verfestigung
Ca(OH)2
+ H2O
+ CO2 ->
CaCO3
+ H2O
KALK-KREISLAUF
bei Putzflächen: Karbonatisierung nach Monaten erfolgt
bei Mauerfugen: abhängig von Eindringmöglichkeit von CO2
(Feuchte)
mäßige Durchfeuchtung günstig"
Praktische Beweise für die physikalisch erzielbare Frühfestigkeit von Luftkalkmörtel liefert Petra Eggloffstein in "Untersuchungen von Kalkputzen an der Rheinbaufassade der Marksburg" in Burgen und Schlösser 4/2002 aus dem Laborvergleich verschiedener bei ständiger Befeuchtung unterschiedlich karbonatisch erhärteten Mörtelproben verschiedener Hersteller:
"Die [Luftkalk-] Mörtel der Fa. [X] zeigen [nach drei Monaten Standzeit bei ständiger oberseitiger Befeuchtung] eine reine Trocknungsfestigkeit [Druckfestigkeitswerte (MPa) gem Tabelle 2: 1,98 und 2,05 gegenüber 1,15 und 1,46 des Luftkalkmörtels eines anderen Herstellers und 1,61 sowie 1,89 des Hydraulkalkmörtels eines weiteren Herstellers], da bei diesen Proben nur eine geringe Carbonatisierung stattfand. [...]
[X] Unterputz und Oberputz zeigen eine schlechte Carbonatisierung. [...] Die Druckfestigkeit ist mit ca. 2 MPa gut, wird jedoch durch Adhäsionskräfte hervorgerufen."
Fazit: Luftkalkmörtel erreichen auch vor ihrer endgültigen chemischen Abbindung ausreichende Standfestigkeit, um ohne Unterbrechung Mauern bauen zu können. Wer es nicht glaubt, möge sich vergegenwärtigen, wie die alten Baumeister in vergleichsweise kurzer Bauzeit die Fundamente der mittelalterlichen Burgen und Dome, Kathedralen und Stadtmauern, Bürgerhäuser und Kellergewölbe bauen konnten - ohne ein Gramm Zement!
Ohne wasserabweisende Hydrophobierungsmittel und wasserrückhaltende Methylzellulose blockieren Luftkalkmörtel auch keine Feuchte im nassen Zustand (baupraktisch vorherrschend und durch tägliche Kondensation bzw. Regenbelastung in Kapillarrissen und Fugen unvermeidlich) im Bauwerk. Probleme kann es nur geben, wenn ungeeignete Anstrichsysteme (Silikatfarben, Dispersionsfarben, sonstige kunststoffverschnittene Farbsysteme mit undeklarierten Hochkonzentraten) oder gar unfachmännische Verarbeitung die guten Eigenschaften des Luftkalkmörtels zunichte machen.
Grundsätzlich ist bei der Systemwahl an der Fassade zu beachten: Die kapillare Wanderung von Wasser in Porensystemen funktioniert nur von Groß- zu Kleinporen. Das heißt, ein Putzmörtelaufbau von grob (Kalk-Sand-Vorspritzer 0-4/6 mm, bei Handauftrag auch 8-12 mm und darüber historisch bewährt) über mittel (1. Lage Größtkorn 2/4 mm) bis fein (Schweißmörtel 0-0,5/1 mm) und Kalktünche als Abschluß wirkt wie ein leistungsfähiges Pumpensystem zur kapillaraktiven Entfeuchtung der Fassade. Umgekehrt kann so ein System eindringende Feuchte abbremsen. Sie kann dann nur als Kondensat oder als Regen in Kapillarrißsysteme (immer vorhanden) eindringen - wird aber durch das "Pumpsystem" schnell wieder nach außen transportiert. Gut entfeuchtend bei starken Putzlagen wirkt auch ein Zuschlag von Holzkohlesplitt im Unterputz. Im Außenbereich sollte der Oberputz die Korngröße 1 mm möglichst nicht unterschreiten, da sonst Frostabschälungen der porenarmen und deswegen besonders bindemittelreichen und wasserhaltenden Feinputzlage drohen.
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