Die von Industriefarben "gelösten" technischen Probleme stellen sich in der Praxis oft garnicht oder ganz anders. Auf historischen Untergründen produzieren Industriefarben nicht selten unerwartetste Fehlergebnisse. Silikatfixierungen, Kunststofftränkungen und -beschichtungen sowie siliconharzfilmbildende Hydrobhobierungen verspröden und überdichten den Untergrund mit der Folge unerwünschter Frost-, Feuchte- und Temperaturdehnungs- sowie Versalzungsschäden. Witzigerweise wird diese beidseitig trocknungsblockierende Dichtwirkung noch als "Wasserabweisung" vermarktet. Daß es hiermit nicht mehr zu unterschlagende Probleme gibt, ist auch dem immer raffinierter werden Untersuchungsaufwand zu entnehmen.
So heißt es in A. Gerdes; F.H. Wittmann: "Qualitätskontrolle einer hydrophobierenden Massnahme mittels FT-IR-Spektroskopie", Internationale Zeitschrift für Bauinstandsetzen und Baudenkmalpflege 2/99:
"[...] Durch eine Hydrophobierung lässt sich die Wasseraufnahme durch Werkstoffe des Bauwesens deutlich herabsetzen. [...] An einem Praxisbeispiel [in dem zugesagte Eindringtiefen nicht erreicht werden und sich der "Siliconharzfilm" nur in einer 2mm-Kruste verteilt; Anm. KF] wird deutlich gemacht, dass ohne ausreichende Qualitätssicherung Wettbewerbsverzerrungen und Fehlinvestitionen die Folge sein können. [...]
Für die Wirksamkeit einer Hydrophobierung, der Vermeidung unerwünschter Nebenwirkungen und die Dauerhaftigkeit der Massnahme ist die Eindringtiefe und der Wirkstoffgehalt in der Werkstoffrandzone entscheidend."
Leider setzt die "Qualitätskontrolle" Bohrkerne aus dem mißhandelten Fassadenbereich voraus. Fällt das nicht oft unter den Begriff "Denkmalzerstörung"? Man wüßte obendrein gerne genauer, was es mit diesen "unerwünschten Nebenwirkungen" auf sich hat. Auch in den Technischen Merkblättern von Hydrophobierungsmitteln hält man sich dazu auffällig bedeckt. Nun ja, wir "Praktiker" wissen ja, wie es aussieht, wenn sanierte Fassaden abgehen wie Blätterteig, oder?
Die bei wasser- und schmutzabweisend ausgerüsteten Neukompositionen unserer Bauchemiker (Stichwort "Lotuseffekt") einsetzende Argumentation mit der Dampfdiffusionsfähigkeit ist reines Kunstharz-Marketing:
Dampfdiffusion findet nämlich vorwiegend von außen nach innen statt - wenn (Umgebungs- bzw. Raum-)Luftfeuchte im kalten Baustoff auskondensiert. Die damit und durch die versprödungsbedingten Kapillarrißsysteme aufgenommene Feuchte bei Beregnung kann durch kapillarblockierte kunstharz- und silikatbehandelte Oberflächenkrusten nur unzureichend austrocknen. Da die Wasserabweisung teils erst erhebliche Zeit nach Aufbringen des Anstrichsystems entsteht, kann zwischenzeitlich einsetzender Regenangriff zusätzlich zur vorzeitigen Untergrundbefeuchtung führen.
Das Wasser ist dann eingesperrt unter den sollgemäß wasserdichten Anstrichschichten mit äußerst schlechten Wasserdurchlässigkeitsraten von außen nach innen und, das ist das eigentlich Schlimme, auch von innen nach außen. Die aus der laborgestützten Künzel´schen Fassadentheorie schon seit ca. dreißig Jahren entstehenden Fehlentwicklungen der Baustoffindustrie beruhen alle auf dem Fehlschluß, daß Wasser aus dem Bauwerk herausdampft. Es will aber kapillar bis an die Verdunstungsoberfläche gelangen, um dort von trockener, warmer Luft aufgenommen zu werden. Kalktünche läßt das zu, Kunst-/Silikonharz- und Dispersionssilikatfarbe sowie Hydrophobierung (wasserabweisender Kunstharzfilm, meistens aus Silicon) behindert das. Die Kapillarentfeuchtung einer Fassade ist ca. um das 1000fache wirksamer als die dampfförmige Trocknung.
Das sich auf den im Verhältnis zur Umgebungsluft kälteren Fassadenbauteilen niederschlagende Kondensat und das im versprödeten Kunstharzcraquelee durch das dort entstehende Kapillarrißnetz eingesaugte Regenwasser existieren für den Laboranten so gut wie nicht. Die vielen Schadensfälle, die das bestätigen, bekommt der Laborant aber nicht zu Gesicht - das erledigen regelmäßig die kompetentesten Außendienstmitarbeiter, die Realitäten noch beurteilen können (und auf die viel zu wenig - mangels Doktortitel? - gehört wird).
Was nützt die dollste Hydrophobie oder gar Superhydrophobie wenn - wie bei den hydrophobierten Fassaden der norddeutschen Ziegelgotik - die dahinter dennoch eingedrungene und eingesperrte Feuchte die dichten Fassadenkrusten abstößt? Diese üblen Schäden sind in Fachkreisen bekannt, nicht aber in der breiten Bauöffentlichkeit.
Die verhältnismäßig kurzzeitige Freibewitterung von Beschichtungspröbchen auf Plättchen wird - jeder Bauwirklichkeit widersprechend - als Bewertungsmaßstab für die Eignung am Bauwerk propagiert. Mit derart manipulativ verfälschten Gutachtenergebnissen wird gutgläubigen Bauherren, Planern und Handwerkern der Kopf verdreht und zum Kauf gereizt.
Der angebliche Lotuseffekt sorgt für Unterhaltung. Der Malerzeitschrift "Die Mappe" 10/99 entnehmen wir folgende Ausführungen, gekürzt ist vor allem das marketingbedingte Schaulaufen, zu dessen Übersicht und wegen der schönen Abbildungen ich den Originalartikel sehr empfehle:
"Immer wieder Diskussionsstoff
Selten sorgte ein Beschichtungsstoff für so viel Aufsehen in der Branche wie Lotusan. Ausgerechnet eine Siliconharzfarbe bringt diese Farbengattung wieder ins Gerede, die schon Anfang der neunziger Jahre die Meinungen polarisierte. Wie ist es um die Siliconharzfarben bestellt und wie geht der Maler damit um? Die "Mappe" fragte nach. - Artikelfortsetzung
Dieser Artikel heilt wohl alle, die auf die "Forschungsergebnisse" des Fraunhofer-Instituts zur besseren Vermarktung von kunstharzhaltiger Fassadenfilmen schon hereingefallen sind (Noch ein witziges Beispiel der Fraunhofer-Qualitäts-Forschung). Und das sind nicht gerade wenige!
Der empfohlene Praxislink: Maler Kempf zum Thema Lotusan
Was einzig zählt, ist und bleibt der nachgewiesene Eignungserfolg am echten Bauwerk. Da sieht es mit vielen modernen Creationen leider düster aus, historisch bewährte Baumethoden können hier besser überzeugen. Das wird dann durch angstmachendes Gerede von saurem Regen, marketingabhängigen Normvorschriften und Bauwerksversalzung schlechtgemacht. Hin und wieder produziert man sogar Versagensfälle mit historischen, aber falsch verarbeiteten Baustoffen, die dann publizistisch in industrieabhängigen "Baufach"-Zeitschriften ausgebreitet werden. Zur Abschreckung.
Die für die angegebenen Dampfdiffusionswerte im Labor ermittelten Verhältnisse sind auch aus anderen Gründen für die Baustellenpraxis nicht maßgeblich. Dort entstehen oft erheblich dickere Anstrichschichten als im Laborpröbchen vorausgesetzt. Die Vernetzung der Kunstharz-Molekülketten entwickelt sich im Alterungsprozeß weiter. Die Schwarte wird sauer und sauerer, bis zur totalen Sauerei. Ersteffekte mit Wasserabperlung (Lotuseffekt) sterben ab, dafür blühen wieder Algen. Wartungsanstriche sorgen für zunehmende Verdichtung. Das alles sorgt selbstverständlich für eine Erhöhung der hochgepriesenen Dampfdiffusion. Folge: Bauschaden. Wer Dampfdiffusion vom Bauteilinneren nach außen beobachtet hat, ist entweder bei der Feuerwehr oder hat einen Tauchsieder ins Bauteilinnere eingebaut. Andere Fälle bitte bei mir melden. Anders gesagt: Bauwerke atmen nicht, sie schwitzen!
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