Nachtrag aus:
1. Forschung des Dahlberg-Instituts für Diagnostik und Instandsetzung historischer Bausubstanz e.V. im Forschungszentrum der Hansestadt Wismar, nachzulesen im Tagungsband der 9. Hanseatischen Sanierungstage "Putzinstandsetzung", Kühlungsborn 1998, erschienen im Verlag für Bauwesen Berlin 1998:
"Gegenwärtig gibt es kritische Bemerkungen zur Existenz der "aufsteigenden Feuchte" an sich. [...] Es wird völlig zu Recht darauf verwiesen, daß insbesondere an historischen Bauwerken die Feuchteaufnahme aus der Luft gegenüber der aus dem Untergrund des Bauwerks überwiegt, weil hohe Konzentrationen löslicher Salze eine dominierende Rolle spielen.
Diese Problematik ist von Wichtigkeit, sie muß weiter diskutiert werden und zwar schon einfach deshalb, damit die Anwendung von Verfahren zur Trocknung durch den nachträglichen Einbau von horizontalen Bauwerksabdichtungen nicht überbewertet wird."
(Venzmer, Lesnych, Kots: Modellversuche zum Trocknungsverhalten sanierputzbeschichteter Ziegel)
2. Forschung Fraunhofer-Institut für Bauphysik IBP Institutsteil Holzkirchen, nachzulesen in: Elke Nürmberger: "Bauforschung, Labor unter freiem Himmel, Das Fraunhofer-Institut für Bauphysik IBP unterhält in Holzkirchen die weltweit größte Freilandversuchsstelle", Arconis 1/99:
"Aufsteigende Feuchte: Diese Diagnose ist häufig nicht richtig, weil der Übergangswiderstand zwischen verschiedenen Stoffen, zum Beispiel Ziegel-Mörtel, sehr hoch ist. Die Steighöhe ist bei Ziegelmauerwerk deshalb etwa 20 cm, bei Bruchsteinmauerwerk kann sie etwas höher sein."
3. Helmut Künzel: "Bauphysik - Geschichte(n) Nr. 17, Aufsteigende Feuchte: Großes Fragezeichen!" in: ARCONIS 4/02:
"[...] Schon vor Jahrzehnten bis in die nahe Vergangenheit wurden von verschiedenen Stellen Laboruntersuchungen
an gemauerten Wandproben durchgeführt, die in ein Wasserbad gestellt worden sind, um die aufsteigende Feuchte
quantitativ zu erfassen. Immer hat man nur Durchfeuchtungen über zwei bis drei Steinhöhen festgestellt. Das
passte so gar nicht zu den Erfahrungen aus der Praxis mit Durchfeuchtungsbildern über ein bis zwei Stockwerke.
[...] Erklärung:
Die Wasseraufnahme von Mauerwerk aus Steinen und Mörtel wird maßgebend durch Übergangswiderstände
zwischen Stein und Mörtel beziehungsweise Mörtel und dem folgenden Stein bestimmt. Die Vorstellung, dass ein
Mauerwerk aus gut saugendem Ziegel und gut saugendem Kalkmörtel ebenfalls gut saugfähig ist, muss daher
korrigiert werden. Der Kalkmörtel ist zwar bei unmittelbarem Kontakt mit Wasser sehr saugfähig, die
Wasseraufnahme aus einem feuchten Ziegel ist aber wegen des Übergangswiderstandes sehr viel kleiner. Das setzt
sich von einer Lage zur anderen fort.[...]
Fazit: Aufsteigende Feuchte kommt in der Praxis nicht so häufig vor wie diagnostiziert und wie Sanierungsmaßnahmen gegen sie in der Vergangenheit durchgeführt worden sind. Die eigentlichen Ursachen der in der Praxis auftretenden Feuchteschäden sind hauptsächlich auf Salzanreicherungen im Mauerwerk (Mauersalpeter) und auf Sommerkondensation zurückzuführen. [...] Deshalb ist eine zusätzliche Sperrschicht (im Fundament) eigentlich nicht notwendig. [...]
Bisher wurden Feuchteschäden der beschriebenen Art an alten Gebäuden damit in Zusammenhang gebracht, dass es erst seit etwa 1900 üblich ist, Horizontalsperren unterhalb des aufgehenden Mauerwerks anzubringen und dass deshalb "aufsteigende Feuchte" bei späteren Bauten nicht mehr aufgetreten ist. Aber auch die Verbesserung der Umwelthygiene kann man mit diesem Zeitpunkt in Zusammenhang bringen. [...] Es braucht nur ein bautechnisch anerkannter Fachmann, der aber mit den Problemen des Salzeinflusses und der Hygroskopizität nicht vertraut war, die Horizontalsperren-Hypothese aufgebracht zu haben und damit wurde sie von der Fachwelt übernommen. Solche Fehlurteile können ein langes Leben haben, wie wir aus den Erfahrungen mit der "atmenden Wand" wissen.
Es wäre unter den geschilderten Verhältnissen angemessen, den ominösen und aus der Säuglingspflege übernommenen Begriff "Trockenlegen" aus dem bauphysikalischen Vokabular zu streichen. Die in den beschriebenen Fällen erforderlichen Sanierungsmassnahmen haben damit nichts gemein."
und
"IBP-Mitteilung 337, 25 (1998) Neue Forschungsergebnisse, kurz gefasst
H. Künzel
Schadensursachen bei alten Gebäuden: Aufsteigende Feuchte, hygroskopische Feuchte oder Tauwasser?
[...] Aufsteigende Feuchte
Aufsteigende Feuchte wird in Verbindung mit den Abhilfemaßnahmen Drainage, Horizontalsperre oder Injektionen viel häufiger als Schadensursache diskutiert, als sie in der Praxis auftritt. Außenmauern von Wasserschlössern oder Kaimauern, die direkten Wasserzutritt haben, sind höchstens bis zur zweiten oder dritten Steinlage feucht. Dies entspricht den Meßergebnissen, die in der Vergangenheit in verschiedenen Instituten gewonnen wurden [Bildverweis]. Während bei einer durchgehenden Mörtelscheibe oder einem Putz eine große Steighöhe zu verzeichnen ist, ist diese bei Mauerwerk sehr gering und endet bei Ziegelmauerwerk etwa bei 20 cm. Der Grund dafür ist, daß zwischen verschiedenen Stoffen wie Ziegel und Mörtel ein großer Übergangswiderstand gegeben ist. Aufsteigende Feuchte ist daher bei Ziegelmauerwerk bis zu einer Höhe von etwa 20 cm zu erwarten und kann bei Bruchsteinmauerwerk mit einem großen Mörtelanteil etwas höher auftreten.
Hygroskopische Feuchte (Mauersalpeter)
Bei höheren sichtbaren Mauerdurchfeuchtungen als einige Dezimeter - oft über das Erdgeschoß hinweg - sind in der Regel hygroskopische Salze [aus an der Wand hochgespritzten Fäkalien] die Ursache. Je größer der Salzgehalt ist, desto größer ist der bleibende Feuchtegehalt, der sich im Außenputz bzw. Mauerwerk auf Grund von Feuchteabsorption aus der Außenluft einstellt. [...] Da die Verbesserung der Stadt- und Dorfhygiene um die Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert etwa mit der Einführung von Horizontalsperren bei Gebäuden zusammenfällt, hat man den Rückgang der sichtbaren Mauerfeuchte fälschlicherweise dem letztgenannten Umstand zugeschrieben. [...]"
Sind es nun pseudowissenschaftliche Spekulationen außerhalb der anerkannten physikalischen Gesetze, wenn da draußen Leute rumlaufen, die naßversalzten Wänden aufsteigende Feuchte zusprechen, um Mauersägeverfahren, hydrophobe Injektionen oder gar Anlegen von sehr hohen Stromspannungen als Entfeuchter und Entsalzer zu vermarkten? Fragen wird ja wohl noch erlaubt sein ...