Zum Thema Architekt und Betonwahn hier noch ein kleiner Nachtrag aus der Süddeutschen Zeitung vom 22.2.99 aus der Rubrik Leserbriefe:
Der Autor des Artikels kritisiert das Staatliche Hochbauamt München I im Zusammenhang mit dem Einsatz von Sichtbeton beim Bau der Pinakothek der Moderne. Dazu ist zu bemerken, daß Architekt Stephan Braunfels die von ihm beklagten Schwierigkeiten überwiegend selbst zu vertreten hat. Von Anfang an hat er hohe Ansprüche an die Gestaltung der Sichtbetonflächen geltend gemacht, sich aber leider als mit den konstruktiven Notwendigkeiten zu wenig vertraut erwiesen und keine Rücksicht etwa auf Termine und Kosten, sprich Steuergelder, erkennen lassen.
Es gab ein absolut korrektes Vergabeverfahren. Die für den ganzen Streit ursächlichen "Schmutzwucherungen" wurden also nicht von irgendwelchen "Lieblingsfirmen des Landbauamts" produziert, sondern haben ihre Ursache in Mängeln des konstruktiven Details und der Objektüberwachung. Für beides zeichnet Braunfels verantwortlich.
Daß seine ursprüngliche Forderung, diese Mängel durch einen Abbruch der Sichtbetonteile zu beheben, wegen der nicht beherrschbaren Konsequenzen geradezu weltfremd war, hatte er zwischenzeitlich eingesehen. Auch die daraufhin zwischen dem Bauherrn und dem Architekten vereinbarte Nachbehandlung des Sichtbetons hatte Braunfels zu überwachen. Wenn er mit dem Ergebnis nicht zufrieden ist, fällt das auf ihn selbst zurück und hat sehr wenig zu tun mit einem etwa mangelnden Verständnis "staatlicher Häusle-Bauer" für die "zum Streicheln einladende glatte Haut" von Sichtbeton. Diese kann Sichtbeton nur dann entwickeln, wenn er konstruktiv richtig durchgebildet und seine Ausführung fachkundig überwacht wird.
Michael Ziegler, Bayer. Staatsministerium des Innern, München"
Wo und von wem sollen Architekten denn "konstruktive Notwendigkeiten", "konstruktiv richtiges" Bauen und "fachkundiges Überwachen der Ausführung" oder gar "Rücksicht auf Termine und Kosten" lernen? Dort hätte ich auch gerne studiert. Bei uns an der TU München gab´s vorwiegend Entwurfslehre im postfaschistischen Monumentalismus oder die ersten Zuckungen des Dekonstruktivismus - beide sinnvoll verbunden durch Bevorzugung des sich dekonstruierenden Stahlbetonbaus. Mein Vater, der 1943 sein Architekturstudium an der TH München aufnahm, wurde von seinen bauhaussüchtigen Professoren zur schon damals unbewohnbaren Weißenhofsiedlung in Stuttgart mit ihren leicht erkennbaren konstruktiven Bauschäden geführt. Folge und das von den 50ern bis Ende 70er!): Niemals Flachdach, niemals Sichtbeton, niemals Panoramafenster. Niemals Bauruine und -schadensprozeß. Und die stahlbetonierten Bauten unserer gestrengen Herren Professoren? Die haben vielleicht Architekturpreise gewonnen - für die Bauherrn vielleicht aber Geldvernichtungsmaschinen. Egal ob es die ewige Betonsanierung wird oder der Reinigungsbetrieb für die bruchgefährdeten Glasfassaden zum Multimilliardär mutiert.
Nirgendwo wird in der Baubranche schöneres Geld zuverlässig immer wieder verdient als in der heute üblichen "Betonsanierung" - die Glasreiniger übergehen wir mal. Schuld an der ständigen Saniererfordernis ist wie immer der ungeeignete Handwerker mit seinem Billigpfusch, zu dem wirtschaftlich überforderte Bauherrn notgedrungen greifen müssen. Außerdem wäre die teure Variante auch nur ein wirtschaftlich unerheblicher Aufschub. Abbruch und Neubau in solider Bauart wäre wirtschaftlicher - die sonst heißgepriesenen Amerikaner machen es uns schon lange vor. Besonders schlimm wirken hier "Sachverständige", die das im Baustoff liegende Grundproblem negieren und bei Planung und Ausführung die Schuld suchen. Als ob es überhaupt möglich sei, mit heutiger Stahlbetonbauweise dauerbeständige Bauten zu errichten - ein Baustoff, der seinen Vernichtungsgrund - korrosiven Baustahl - bereits in sich trägt. Und dessen Bindemittel bei Bewitterung versauert und so den korrosiven Angriff auf den Stahl befördert.
Anstelle reparaturtechnischer Erhaltung historischer Betonbauwerke liefern die neuen Rechenregeln sozusagen fast automatisch deren Abbruch - ein großes Problem vor allem im Brückenbau. Sinnvolle Gegenwehr aus Bauherrnsicht: Experimentelle Belastung des Bauwerks, Messung der Lastfolgen und daraus Ableitung korrekter Rechenannahmen. Es braucht dafür wirkliche Experten, nicht 08/15-Bausäftl mit DINgläubigkeit und Normentreue bis in den Tod. Und schon bleiben Abbruchkandidaten billigst noch 100 Jahre stehen. Qualifizierte Instandsetzung und -haltung freilich vorausgesetzt.