1. Falsche Rezeptur
Es ist kaum zu fassen, welche entscheidende Rolle das Baustoffrezept spielt - gerade in der Kalktechnik. Kunstharze, Öle, Hydraulen bzw. latent hydraulische Bindemittel vom portlandverschnittetenen Traß über Romanzement bis zu Hüttensand und Weißzement, Ziegelmehl, Ziegelsplitt und Lehm- bzw. Ton-Zugaben, Mineralzuschläge vom Quarz- über Sand- und Kalksteinbrechsand bis zu Marmormehl und Mikrosilika, wasserrückhaltend schimmelzuchtfördernde Zellulosenderivate, vergütende Zusätze verschiedenster Herkunft werden "im besten Glauben", vielleicht aber auch unter dem qualitätsvermeidenden Gesichtspunkt der hersteller- und verarbeiterseitigen Gewinnmaximierung zusammengemischt, meist nahezu undeklariert und in der stillen Hoffnung, daß es diesmal klappen wird. So entstehen oft nur angebliche Luftkalkmörtel, Luftkalkputze, Kalkschlämmen, Kalkestriche, Verlegemörtel, Kalktünchen, Kalksinterwasser, Kalkmilch, Kalkspachtel und Kalkkitte für innen und außen, für Mauerwerksinjektion, Vermauerung, Injektion hohlliegender Beschichtungen, Fehlstellenergänzung im Natursteinbereich, Fugmörtel, Bodenbelagsarbeiten, Flächenfestigung auf absandelnden Untergründen und Anstricharbeiten mit komplexen technischen Randbedingungen in buntester Materialvielfalt.
Nur die wenigsten Baustoffrezepteure aber wissen im Detail über die technisch, physikalisch und chemisch
unterschiedlichen Eigenschaften von Sanden und Kalken Bescheid und finden deshalb bei der Rohstoffwahl zwar den
billigsten Hersteller und Lieferanten, nicht jedoch die qualitätsvollsten Ausgangskomponenten. Fällt in
der Eigenproduktion irgendein dünnes, erd- und staubverunreinigtes Mineralgemisch vielleicht auch nur als Abfall
oder Restprodukt bei anderen Herstellungsprozessen an, wird es dem Mörtelrezept gnadenlos beigemischt, langt es
nicht mehr für Putz, kommt es in den Estrich oder Mauermörtel.
Die zuschlagsbedingten Mängel wie zu hoher Zuschlagsgehalt bzw. Pigmentanteil - oft zugunsten schnellerer Verarbeitung
bzw. zur Verbesserung der Deckkraft von Kalktünchen herstellerseits hingenommen - müssen dann durch
zementäre und chemische Trickzutaten kompensiert werden. Verarbeitungsbedingte Bremsen wie die Pumpfähigkeit
des Naßmörtels führen dann zu den üblicherweise total unterdimensionierten, feinstoffüberfrachteten Kornfraktionen, Aufbrenn- und Abbindegefahren zu schimmelriskanten
Wasserrückhaltern mit hoher Offenzeit - doch alles immer auf Kosten der technischen Endqualität am Bauwerk bzw.
erhöhter Empfindlichkeit bei der Verarbeitung. Riß- und Aufbrennrisiken steigen dann gleichermaßen.
Fragen Sie alleine mal nach den zulässigen Komponenten in einem Kalkmörtel nach Norm, Sie werden überrascht sein, welche Unmengen Zement und Ersatzhydraulen da quasi deklarationsfrei untergejubelt werden dürfen. Und fragen Sie nach der Volldeklaration mit technischer Erläuterung der Zutaten, gibt es aus "Geheimhaltungsgründen" keine vernünftige Auskunft.
Ziel: Der Preis bleibt das einzige Kriterium, der billigste Pfuschmist schlechter Fraktionierung und Kornabstufung, - voll aber
mit endeigenschaftsbeeinträchtigendem Chemie- und Alkalienmüll - kann und muß dann gewinnen. Denn wer will schon einen
fachgerechten traditionellen Mörtel und Kalkputz fachlich einwandfrei verarbeiten? Das kostet alleine schon wegen der notwenigen
guten Untergrundvorbereitung, dem mehrfachen Auftrag bei größeren Mörtelstärken, dem außen notwendigen
Fassadenschutz vor Sonne, Wind und Regen sowie der Nachbehandlung mit ausreichender benebelnder Feuchthaltung doch deutlich mehr, als
einmal Schnellbinder drübergegurkt. Um es deutlich zu sagen: Qualität kostet! Und lohnt sich trotzdem. Doch wem sage ich das?
Ihnen? Nein, davon wollen Sie bestimmt nichts wissen. Gehen Sie also von mir aus gerne zurück zu Ihrem Handwerkssimpl und Ihrem
industrieberatenen Kickback-Planer und am besten gleich zum Pharmareferenten, äh, Sanierberater der Trockenmörtelindustrie und
Bauchemiebuden. Wer Billigpfusch haben will, wird ihn dort ganz sicher bekommen, koste es später für Leib und Leben, und auch
für das Bauwerk selbst, was es wolle. Mir doch egal. Und um Sie nicht im Irrtum verharren zu lassen: Eine fertige Kalkputzwand mit
kalkanstrich darf über 70 EURO pro Quadratmeter kosten! Es hängt lediglich von Ihrem Bauwerk und Projekt ab, ob es etwas
weniger oder mehr - nicht günstiger, teurer, billiger! wird. Man muß nämlich die unterschiedliche Qualität
betrachten, nicht nur auf die unterschiedlichen Kosten schielen. Beim Mercedes hätten Sie gewußt, was ich meine, beim Bauen
ganz gewiß nicht, stimmt's, oder habe ich recht?
Nur vom letztlich - im Falle Sanierputz gleich - überteuerten Murks-Pfusch haben alle was - ach was - am meisten davon: der
Hersteller, der Lieferant, der Handwerker, der "beeinflußte" Planer ohne Technik-Knowhow, der baustoffentfremdete Handwerker, ach
ja, auch die Rechtsanwälte und Gerichte, die Haftpflichtversicherer nicht ganz zu vergessen. Und der Bauherr? Na, er wollte doch
selbst das Billigste vom Billigen - wo hätte er denn die geringste Ahnung, hier die Spreu vom Weizen zu trennen.