Kunstdenkmal und Denkmalkunde (Vortrag 1997)
Akademischen Diskussionen wird derzeit wieder einmal mit Nachdruck der Vorwurf der Theorielastigkeit gemacht. Dieser Vorwurf verkennt, daß die Praxis es ist, welche die Theorie erzeugt, die wiederum die Praxis bestimmt. Es ist der Teufel, der die Dichotomie von Theorie und Praxis geschaffen hat, und der vorlügt, daß es eine Praxis gäbe, die keine Theorie voraussetzte.
Das Thema, das ich mir heute gestellt habe, verbindet zwei Begriffe, von denen der eine so wenig selbstverständlich ist, wie der andere. Der eine Begriff, Denkmalkunde, scheint jetzt häufiger gebraucht zu werden. Ganz jung ist er nicht, vielmehr erscheint er bereits 1899 in der Einleitung, die Otto Sarrazin und Oskar Hoßfeld dem ersten Jahrgang der Zeitschrift Die Denkmalpflege auf Seite 1 mitgibt. Dies ist vielleicht kein Zufall, denn eben in diesen Jahren muß sich der Inhalt des Begriffes "Denkmalpflege" verschoben haben, wenn dieser, wie Thomas Korth einleuchtend vermutet hat, ursprünglich das Erkennen und Verstehen der Denkmäler gemeint hat. "Denkmalkunde" wäre dann für "Denkmalpflege" eingetreten. Demgegenüber eingeschränkt braucht dann Georg Dehio in seiner Kaisergeburtstagsrede 1905 den Begriff "Denkmalkunde", wenn er fordert, daß die Schule von der Volksschule an auf allen Stufen der Denkmalkunde von Stadt und Provinz Aufmerksamkeit schenken solle, womit Denkmalkunde in die Nachbarschaft von Heimatkunde gerät. 1977 erklärt Duden, Das Große Wörterbuch, das Wort "Denkmalkunde" höchst merk- und bedenkenswürdig als ein Gebiet der Kunstgeschichte, das sich mit historisch wertvollen Denkmälern beschäftigt, bringt es also mit Denkmalschutz und Denkmalpflege nicht mehr unmittelbar in Verbindung.
Der andere Begriff, Kunstdenkmal, muß als im weitesten Sinne goethezeitlich gelten; Grimms deutsches Wörterbuch notiert dazu 1873 in seinem fünften Bande: noch bei Campe fehlend - gemeint ist wohl das Wörterbuch der deutschen Sprache von Joachim Heinrich Campe, erschienen 1807-1811. Grimm gibt aber als Fundstelle auch die 1792 erschienene dritte Auflage des Handbuches der klassischen Literatur von Johann Joachim Eschenburg an.
Keiner der beiden Begriffe, weder der ältere des Kunstdenkmals, noch der jüngere der Denkmalkunde, ist ganz selbstverständlich. Dabei scheint gerade dem Begriff Denkmalkunde überhaupt etwas Altväterisches anzuhängen, er erinnert an Erdkunde, und, fataler Weise, an einen Begriff, der, trotz oder wegen Eduard Spranger, stigmatisiert ist, an den der Heimatkunde. Doch will mein Gebrauch des Begriffes Denkmalkunde dieser Assoziation nicht in die Analogie zur Geographie ausweichen und auf dem Kothurn einer Mnemographie daherkommen. Denkmalkunde braucht sich nicht einmal der Verwandtschaft zur Heimatkunde zu schämen, da man doch weiß, daß sich einerseits Hitler, solange er den Begriff der Heimat nicht für seine Zwecke instrumentalisieren konnte, nur höhnisch darüber geäußert hat, und daß führenden Köpfen des Widerstandes gerade die Bewahrung von Heimat gegen instrumentalisierenden Mißbrauch ein besonderes Anliegen war.
Die Frage, ob der Begriff der Denkmalkunde, wie das Duden-Wörterbuch 1977 meint, einer der Kunstgeschichte ist und etwa eine Disziplin dieser Wissenschaft bezeichnet, wird immer im Hintergrund unserer Überlegungen bleiben. Jedenfalls würde ich diesen Begriff doch nicht gleich erweitern und ein rechtsgeschichtliches Werk, das sich mit der Entwicklung des Denkmalrechtes beschäftigt, als eines der Denkmalkunde anzeigen, sondern als rechtsgeschichtliche Spezialuntersuchung, und so gibt sich mir auch ein Bildatlas wichtiger Denkmalgesteine eher als eine Werkstoffkunde als eine denkmalkundliche Interpretation zu erkennen. Der Begriff einer Denkmalkunde wäre in der Tat illegitim erweitert, wenn man ihm alle Lehre vom pflegenden und schützenden Umgang, wenn man ihm alle Arten von Denkmalforschung subsumierte.
Begriffe pflegen sich zu schärfen, indem sie immer wieder in Begriffspaare gestellt werden. Für mich ist der Begriff der Denkmalkunde ein notwendiger Gegenbegriff zu dem der Denkmalinventarisation. Man erinnere sich der Tatsache, daß die Denkmalinventarisation ein Kind allgemeiner Schatzinventarisation ist, welche die Legitimation von Macht und Herrschaft durch Eigentum unter Beweis stellt. Dementsprechend kann von der Geburt der Denkmalinventarisation aus dem Geist der Revolution gesprochen werden, und Revolutionen sind, wie jeder Hingang, wo nicht von Zerstörung, doch von Aneignungen begleitet. Solche Revolutionen können grundstürzend sein, wie die Französische, sie können schleichend sein, wie die Wiederherstellung des römischen Rechtes, welches die bezeichnenderweise fast tautologische Staatsstatik erzeugt hat, mit der wiederum die topographische Denkmalinventarisation unübersehbar verbunden ist. Und was von Revolutionen gilt, gilt ebenso für Restaurationen. Hierzu zunächst ein Beispiel: Die Historische Klasse der Bayerischen Akademie der Wissenschaften wird bei deren Konstitution im neuen Königreich am 1. Mai 1807 beauftragt, die vaterländische Geschichte und Archäologie zu erforschen und, nun wörtlich, alle darauf Bezug habenden Denkmäler und Beyträge mit Fleiß und Kritik zu sammeln - soweit der Text - um damit ein geographisch-historisches Lexicon von Bayern, also eben eine historisch-topographische Staatstatistik zu erstellen. In Frankreich wird 1819 eine erste Statistique monumentale abgeschlossen, in Württemberg erscheint 1824 eine erste Oberamtsbeschreibung. Als dann 1862/63 Wilhelm Lotz in Kassel im Vorgriff auf ein erhofftes Großdeutsches Reich seine Kunsttopographie Deutschlands herausgab, dachte er sich diese in einer Reihe Statistik der deutschen Kunst des Mittelalters und des 16. Jahrhunderts. Als drei Jahre später der erste Traum von einem Großdeutschen Reich ausgeträumt war und Kassel preußisch wurde, verfügte der königlich-preußische Administrator in Kurhessen, Eduard von Möller, die Aufstellung von amtlichen Verzeichnissen als Grundlage für eine Denkmälerinventarisation. Als dann diese Verzeichnisse zur Herausgabe durch den Verein für hessische Geschichte und Landeskunde zu überarbeiten waren, wurde diese Aufgabe neben Heinrich von Dehn-Rothfelser auch Wilhelm Lotz, offensichtlich einem Wendehals, übertragen. Das Werk erschien dann als die erste wissenschaftliche Denkmälerstatistik unter dem nackten Reihentitel Inventarium der Baudenkmäler im Königreiche Preußen. Daß durch die topographische Präposition im ein besitzanzeigender Genitiv vermieden werden sollte, wurde wohl durchschaut, denn ohne Widerstände war diese Inventarisation nicht durchzuführen gewesen. Beiläufig sei bemerkt, daß unter dem gleichen Oberpräsidenten Eduard von Möller im Reichsland Elsaß-Lothringen die Denkmälerbeschreibung durch Franz Xaver Krauß, bis heute vorbildlich, begonnen wurde. Als sie 1877 bis 1892 erschien, trug sie den neutralen, allerdings wieder ein bezeichnendes Begriffspaar enthaltenden Titel Kunst und Altertum in Elsaß-Lothringen. Nur der Untertitel, Eine beschreibende Statistik, im Auftrage des kaiserlichen Oberpräsidiums [...] herausgegeben [...], erinnerte an die Tradition. In der k. k. Zentralkommission für Erforschung und Erhaltung der Kunst- und historischen Denkmale hatte man sich schon 1874 entschlossen, die vorzubereitende denkmalkundliche Publikation Kunsttopographie zu nennen, auch, um Inventarisation und Inventarisierung zu vermeiden, an welchen [...] Begriff sich allerhand minder genehme Nebenbegriffe knüpfe.
Inventare und Statistiken sind mit dem Odium von Besitz-, ja, Eigentumsansprüchen belastet. Dies hat auch über viele Jahrzehnte die Entwicklung von Denkmalschutzgesetzen behindert, was gerade von Juristen beklagt worden ist, oder dort, wo sie erlassen worden sind, ihren Geltungsbereich eingeschränkt. So macht das französische Denkmalschutzgesetz von 1877 die Classierung von Privateigentum als Monument historique von entsprechenden Vereinbarungen mit dem Eigentümer abhängig, während in Deutschland 1908 festgestellt wird, daß Denkmalschutzverordnungen nur in der Beschränkung auf den öffentlichen Besitz ergangen sind. Bis in die jüngsten Erörterungen über Denkmalinventarisation spielt die Frage, inwieweit sie von der Sozialbindung des Eigentums gedeckt ist, eine nicht zu unterschätzende Rolle. So bestimmt eine Bekanntmachung des Bayerischen Staatsministeriums für Wissenschaft und Kunst vom 6. September 1990 mit dem Titel Grundsätze für die Inventarisation der Kunst und Geschichtsdenkmäler Bayerns, daß feste und bewegliche Ausstattungsstücke nur dann Gegenstand der Inventarisation sein können, wenn sie eine historisch belegbare Einheit mit dem Baudenkmal bilden. Ist das nicht der Fall, dann können sie nur dann Gegenstand der Inventarisation sein, wenn sie mit Einwilligung des Berechtigten erfolgt; nur in besonderen Fällen ist diese Einwilligung nicht erforderlich. Die Rechtsdimension der Inventarisation - als Eigentumsbeschränkung - ist durchaus erkennbar gehalten. In die gleiche Richtung zielt die besorgt den Verdacht der Säkularisierung abwehrende staatskirchenrechtliche Bestimmung dieser Grundsätze, daß die Aufnahme von Gegenständen kirchlichen Gebrauchs in ein Denkmälerinventar die liturgische Zweckbestimmung nicht beeinträchtigen darf.
Die Beschränkung des Eigentumsrechtes kann und darf aber nicht mehr das erste Ziel einer Inventarisation, einer Denkmalerfassung und schon gar nicht einer Denkmalforschung sein. Der mehrfach an die Stelle des Inventarisationsbegriffes getretene Begriff der Denkmalerfassung kann sich von einem solchen Verdacht allerdings nicht ganz befreien, eher schon der Begriff der Denkmalforschung, der nun allerdings wirklich auf den zwar eindrucksvollen, aber tönernen Füßen der Wissenschaftlichkeit daherkommt. Ohne jetzt den Begriff wissenschaftlicher Denkmalforschung ausleuchten zu wollen, scheint mir doch der Begriff der Denkmalkunde am ehesten geeignet zu sein, den Abschied von dem belasteten Begriff der Denkmalinventarisation zu erleichtern und das nicht nur, indem er den belasteten Begriff durch einen scheinbar neutralen ersetzen könnte.
Der Begriff der Denkmalkunde deckt als Denkmalerkundung den Begriff der Denkmalforschung ab. Aber zu was Ende wird Denkmalforschung betrieben? Doch mit dem Ziel, Denkmalbewußtsein zu erwecken. Daß dieses Ziel fest im Auge behalten wird, daran erinnert der Begriff Denkmalkunde, indem er auch das Verkünden dessen, was Denkmalforschung erwirkt, mit einbezieht. Wie dies vor sich geht, mag mit einer 1919 veröffentlichten Überlegung Benedetto Croces zum Wirken des Kunstwerkes beleuchtet werden; Julius von Schlosser hat diesen Text 1926 im Wiener Jahrbuch für Kunstgeschichte, herausgegeben vom Kunsthistorischen Institut des österreichischen Bundesdenkmalamtes, durch seine Übersetzung der deutschsprachigen Öffentlichkeit nahezubringen versucht. Croce geht von der Kritik der romantischen Vorstellung aus, daß zwar die Daten und Ereignisse, die von der politischen Geschichte erzählt werden, gewesen, doch nicht mehr gegenwärtig, die Kunstwerke dagegen zeitlos und damit auch gegenwärtig lebendig seien und als semper florentes vor uns stünden. Sie stehen da, aber wer legt Hand an sie? fragt Croce. Sie stünden da, räumt Benedetto Croce ein, aber nicht als Kunstwerke, sondern höchstens als physische Objekte, gleich den Pergamenten oder sonstigen Urkunden der Archive, ohne wahre Gegenwart. Die Wiederbelebung oder das Wiederhervorbringen der Kunstwerke sei die Aufgabe der Kritik und der Geschichtsschreibung, freilich nicht durch das in deutschen Konzertsälen verbotene "Mitsingen", sondern durch Forschung und Interpretation.
Indem Croce hier Kunstwerk und Geschichtsdenkmal letztlich gleichsetzt, lassen sich seine Überlegungen unmittelbar auf Denkmale aller Art, also auch auf Kunstdenkmale übertragen. Der schwarze Mann auf dem Stein ist unverständlich, wenn er uns nicht erklärt wird, und sei es durch die Buchstaben seines Namens; das gräßliche Geschehen eines Löwenkampfes, der Mensch und Tier zu Tode bringt, ist auch als Monumentalgemälde des Rubens unverständlich, wenn uns das Bild nicht, um eine Formulierung Henry Nannens zu gebrauchen, erzählt wird. Wir bedürfen der maieutischen Hilfe der Klio, der Tochter der Mnemosyne, um Denkmale in gegenwärtige Existenz treten zu lassen; wir müssen ihnen das Blut der Gegenwart spenden, um sie, die sonst Schatten bleiben, zu beleben. Dazu gehört auch das Wahrnehmen der materiellen Existenz der Werke, die Croce ja keineswegs übersieht, sondern von der er ausgeht. Diese ist es ja, welche die Spuren überliefert der - auch kollektiven - Mühen, die für ihre Realisation aufgewendet werden mußten. Erinnerung und Gegenwart zu vermitteln: Das ist die Denkmalkunde, welche Denkmale überhaupt erst in gegenwärtige Existenz bringt und die, als lebendige Gegenwart, auch unabschließbar ist - im Gegensatz zu dem Anschein, welchen jede "Inventarisation" von Vergangenheit vor sich trägt.
Um Mißverständnisse zu vermeiden, ist nun ein Seitenweg von Betrachtungen über die Disziplinen und die Medien der Denkmalkunde zu betreten, der aber unversehens zum Begriff des Kunstdenkmals weiterführen wird.
Innerhalb der Denkmalkunde ist die spezielle und die topographische Denkmalkunde zu unterscheiden. Um zu zeigen, was mit der speziellen Denkmalkunde der Spezialkorpora gemeint ist, sei nur auf das Beispiel des Corpus Vitrearum Medii Aevi verwiesen. Freilich ist auch hier die Begriffsbildung akzentuierend, nicht definierend - natürlich ordnet sich das Corpus der mittelalterlichen Glasmalereien auch topographisch, aber die Topographie steht als Einteilungsmittel nicht im Mittelpunkt der Darbietung. Für die topographische Denkmalstatistik war die topographische Zugehörigkeit der Denkmale allerdings konstitutiv, eine topographische Denkmalkunde wird dagegen die topographische Situation der Denkmale als Teil ihrer Aussage wahrnehmen und zum Gegenstand ihrer Forschungen machen, wenn sie nicht sogar das Ergebnis ihrer topographischen Feststellungen zu einer Topologie der Denkmale überhöht und damit zu einer Interpretation der räumlichen Zusammenhänge, die sogar übergreifende Denkmale konstituieren können.
Für Inventare ist eine Publikation nicht konstitutiv, oft nicht einmal erwünscht; Denkmalkunde dagegen existiert nicht ohne Publikation. Noch ist das geschriebene und gedruckte Wort nicht als Vehikel des Gedenkens abgeschafft, daneben tritt aber das Bild. Dieses Bild ist am wirkkräftigsten dort, wo es möglichst viel von der persönlichen Begegnung des Bildners mit der Wirklichkeit transportiert, und das ist der Fall bei der Zeichnung; erinnern wir uns daran, daß Franz Kugler die über vierhundert Abbildungen in seinem Handbuch der Kunstgeschichte selbst gezeichnet hat. Wie aber das Bild das Wort illustriert - und das ist viel, aber nicht mehr -, so erläutert - übrigens fast eine Übersetzung von illustrieren - das Wort das Bild. Es ist bezeichnend, daß die gezeichneten Ergebnisse der jüngst zur Hochform entwickelten Bauforschung, zwar Gegenstände von höchstem ästhetischem Reiz und damit Zeugnisse von Kunst in der Gegenwart sind, daß diese aber ohne verbale Erläuterungen innerhalb des Bildes nicht auskommen. Ohne die Erläuterung durch das Wort führt vor allem das technisch immer mehr perfektionierte photographische Bild eher von der Wirklichkeit der Gegenstände weg bis in die Gefahr, daß schließlich die Begegnung mit der Wirklichkeit in der Katastrophe der Enttäuschung endet.
Es sind vor allem drei Gattungen der im Buch präsentierten, topographischen Denkmalkunde, die als wirksam angesehen werden und dieses Versprechen doch wenigstens zum Teil erfüllt haben: Die Denkmalliste, die Denkmaltopographie und die Werke der fundamentalen, topographischen Denkmalkunde. Von der Denkmalliste kann hier nun nicht mehr als von im juristischen Sinne nachrichtlichen oder konstitutiven Denkmalschutzverzeichnissen die Rede sein, (welcher Unterschied in der Praxis ohne Effekt ist), sondern sondern hier muß von ihnen als publizierten Medien topographischer Denkmalkunde gesprochen werden. Ihre diesbezüglichen Dienste und Erfolge sollen hier wenigstens mit einem Worte gewürdigt sein. So haben diese Listen doch als erste die langen Reihen gründerzeitlicher Bebauungen in Bedeutung und Problematik vor das Auge der Leser gestellt, haben die ganze Welt der vernacular architecture und der wahrhaft liebenswürdigen monumenta minora erschlossen, haben Streuung und Zusammengehörigkeit der Denkmale erstmals wirklich flächendeckend aufgezeigt. Die Denkmallisten sind allerdings auch - und das ist nicht ihr unwichtigstes Ergebnis - an die Grenzen des gesetzeskonform faßbaren Denkmalbestandes vorgedrungen und mußten damit den Blick über diese Grenzen hinaus eröffnen. Gerade hier sollte eine Denkmaltopographie zusammenfassend und übergreifend weiterführen, welcher Aufgabe sich am erfolgreichsten niedersächsische Bände und, seinem einschränkenden Namen zum Trotz, der Ortskernatlas Baden-Württemberg unterzogen haben, während andere Veröffentlichungen, die sich mit dem Namen Denkmaltopographien schmücken, der Gefahr, zu Bilderlisten zu verkommen, nicht ganz entgangen sind. Kurzinventare wären gut, denn ein Inventar ist am griffigsten, wenn es kurzgefaßt ist; die Qualität fundamentaler, denkmalkundlicher Veröffentlichungen läßt sich nicht an ihrer Kürze oder Länge, auch nicht an ihrer Bearbeitungszeit, messen, denn diese sind abhängig von der erst zu erforschenden Eigenart des jeweiligen Denkmals.
Ich versage es mir, hier über die Möglichkeiten zu spekulieren, welche elektronische Medien für die Denkmalkunde eröffnen könnten. Ihre Wirkung wird davon abhängig sein, ob sie von der Wirklichkeit weg in eine noch perfektioniertere Virtualität führen, oder ob sie in einer Kehre fähig sind, zur Wirklichkeit der Werke, um die es geht, hinzuführen. Warnend steht hier schon das Wort Goethes, welches ein altes Mißtrauen schon gegen das geschriebene Wort tradiert: Schreiben ist ein Mißbrauch der Sprache, stilles für sich Lesen ein trauriges Surrogat der Rede. Daß der Mensch eigentlich berufen sei, in der Gegenwart zu wirken, will Goethe damit sagen - und das gilt auch für die Denkmalkunde. Die schönste Genugtuung hält die Denkmalkunde bereit, wenn ihr Partner - der Eigentümer im weitesten Sinne oder der Vertreter des Eigentümers - miterlebt, wie sich der Denkmalforscher mit Leib und Seele seinem Gegenstand zuwendet, so daß er dann sagen muß - wie es sinngemäß geschehen ist - : Wenn die Augen leuchten, so wird aller Widerspruch gegen die Eintragung in ein Inventar zunichte. Und damit sind wir wieder bei Benedetto Croce und dem Begriff des Kunstdenkmals angelangt.
Selbstverständlich ist der Begriff des Kunstdenkmals eine Einschränkung des allgemeinen Denkmalbegriffes, der in der Goethezeit zwar keine Erweiterung, aber eine Inflation seiner Anwendung erfährt. So zitiert Grimms Wörterbuch zu Denkmal: Gönne mir einen Kuß, wenn auch nicht Erhörung, daß ich ein Denkmal deiner Liebe mit zu den Toten nehme (Schiller). Goethe selbst dichtet für den Ruhesitz der Frau von Stein in seinem Garten: Jedem Felsen der Flur, die mich, den glücklichen nährt, / jedem Baume des Walds, um den ich wandernd mich schlinge, / Rufe ich weihend und froh: Bleibe mir Denkmal des Glücks. Und selbstverständlich finden sich solche sentimentalen Denkmalweihen schon bei Rousseau, wenn in der Nouvelle Heloise 1761 Mylord Eduard beim Anblick des Landgutes, das er St. Preux und Julie anbietet, den Wunsch äußert: Mögen eines Tages unsere Nachfahren, wenn sie, von geheimem Zauber berührt, dies Denkmal ehelichen Glücks aufsuchen, ausrufen: Hier war der Unschuld Zuflucht, hier war der Wohnsitz zweier Liebenden. Höchst bezeichnend ist auch die Sinnverschiebung, die Johann Heinrich Voß sich beim einfachen Vers 218 des sechsten Gesangs der Ilias 1793 leistet, der da heißt Oi de kai alleloisi poron xeineia kala [i.Orig. griechische Schrift, Anm. d. Red.], indem er übersetzt Jen' auch reichten einander zum Denkmal schöne Geschenke, wobei das zum Denkmaleine frei erfundene Einfügung ist. Von Kunstdenkmal zu sprechen ist demgegenüber eine scharfe Präzisierung eines jeweils Gemeinten.
Der Begriff des Kunstdenkmals steht in der Goethezeit in zwei Begriffspaaren, in denen er an Schärfe gewinnt: Zunächst bleibt der Begriff des Kunstdenkmals nicht davon unberührt, daß Natur und Kunst, besonders deutlich seit Rousseau, einander gegenübertreten. Dabei ist der Kunstbegriff noch fern vom Kunstmythos der späteren Romantik, sondern meint in guter alter Weise das mit Mühen Erlernte und Gekonnte. Hierzu zitiere ich nicht wieder, was ein leichtes wäre, Goethe, sondern eine Anordnung der bayerischen Forstbeamten, welche 1809 die Wälder der säkularisierten Fürstpropstei Berchtesgaden übernommen hatten. Nach dieser Anordnung sollte jährlich nicht mehr Holz gehauen und verwendet werde[n], als Kunst und Natur wieder sicher hervorzubringen imstande sind. Tritt aber die Natur der Kunst gegenüber, dann ist das Naturdenkmal nicht weit. Die Sache war bereits Leibniz geläufig, der bereits zu Ende des 17. Jahrhunderts von "Antiquitäten" spricht, so uns die Natur hinterlassen, und Goethe nähert sich in diesem Sinne 1784 den Granitfelsen als den ältesten und würdigsten Denkmäler[n] der Zeit. Daß Alexander von Humboldt angesichts eines gewaltigen Mimosenbaumes in Südamerika den Begriff des Naturdenkmales geprägt habe, überzeugt dann unmittelbar. Umgekehrt wirkt die Gegenüberstellung der Denkmale von Kunst und Geschichte, d.h. der Kultur, einerseits und der Natur andererseits, über den Artikel 150 der Weimarer Verfassung als ein Gegensatz zwischen Natur und Kultur bis in unser gegenwärtiges Verfassungsleben höchst aktuell ein, obwohl allmählich deutlich wird, daß dieser Gegensatz für unser Erdenrund allmählich als ein nur noch konstruierter obsolet wird.
Das zweite Begriffspaar, in dem sich der Begriff des Kunstdenkmals schärft, hat sich eben schon in der Gegenüberstellung von Kunst und Geschichte angedeutet: Der Begriff des Kunstdenkmals gliedert sich als selbständig aus dem Begriff des Geschichtsdenkmales aus. Dabei ist zu vermerken, daß der Begriff Kunstdenkmal durchaus noch der Selbstverständlichkeit entbehrt und mit ihm ebenso problematische Begriffe wie "Kunstmerkwürdigkeiten", "Kunstalterthümer" auf lange Zeit konkurrieren. Zunächst stehen sich aber Geschichte und Kunst überhaupt entgegen, ganz deutlich im Edikt Papst Pius VII. vom 1./2. Oktober 1802, das als erste "Denkmalschutzverordnung" den Schutz der monumenti e delle produzioni delle belle arti verfügt; und im Titel, der im gleichen Jahr Antonio Canova verliehen wird - Ispettore delle Antichità e Belle Arti - stehen sich Altertum und Kunst im gleichen Sinne gegenüber. Die Überzeugung vom Vergangenheitscharakter der Geschichte und der romantische Glaube an die unmittelbare Wirksamkeit der Kunst in jeder, auch zukünftiger Gegenwart beginnen einander gegenüberzutreten; als Gegensatzpaar von Altertum und Kunst lebt diese Dichotomie weiter, über die monumentale Inschrift des Alten Museums hier in Berlin, die den Bau 1830 dem Studium antiquitatis omnigenae et artium liberalium widmet bis zu den Bedeutungskatalogen der Denkmalschutzgesetze, so daß man jetzt darüber aufklären muß, daß im Denkmalwesen alle einzelnen Bedeutungskategorien Ausdifferenzierungen der einen, der geschichtlichen sind.
Es besteht zudem der Verdacht, daß die sehr bald auftauchende Kategorie der wissenschaftlichen Bedeutung als geschichtswissenschaftliche gemeint war und damit der vernichtenden Analyse zum Opfer fallen mußte, die ihr Eva Frodl-Kraft bereits 1976 zuteil werden ließ. Der vor zweihundert Jahren aufbrechende Gegensatz zwischen Kunst und Geschichte wird 1964 in Frankreich wiederbelebt, indem bei der Neubegründung des Inventaire générale des richesses artistiques de la France von 1872 (man beachte das Jahr!), dem Titel, zweifellos in Erinnerung an die Monuments historiques der Revolution und Restauration, wieder der Begriff der Monuments eingefügt wird. Der Neubegründer des Inventars, André Malraux, schließt allerdings ein Begleitwort ebenso unbekümmert schön wie nachdenkenswert mit dem Satz: L' inventaire de richesses artistiques de la France est devenu une aventure de l' esprit - und der Verfasser des Musée imaginaire vergißt dabei offenbar wieder der Monumente, des Geschichtscharakters der Denkmale. Hier, in Berlin, feierte noch jüngst der alte Gegensatz zwischen Kunst und Geschichte in erschreckender Aktualität unfröhliche Urständ als der nun hoffentlich behobene Gegensatz zwischen Museumspflege und Denkmalpflege.
Während Frankreich bei seiner monumentalen Veröffentlichungsreihe zur Denkmalkunde bei dem Titel "Inventar" bleibt, taucht dieser Begriff in Deutschland nur in den preußischen Veröffentlichungstiteln kurz auf, obwohl er im internen Gebrauch bis heute ungemindert üblich ist: Der Titel unserer Veranstaltung ersetzt ihn zwar - schamhaft, und doch leicht durchschaubar - durch Erfassung, um ihn gleich bei der ersten Referatsgruppe wieder einzuführen.
Das im preußisch gewordenen Hessen vorgelegte Inventar konkretisiert jedoch seinen Gegenstand mit einem Begriff, der dann sogar in der Lage ist, sich vor den des Kunstdenkmals zu schieben, nämlich den des Baudenkmals. König Ludwig I. von Bayern hat zwar, wenn auch ohne Folgen, versucht den Gegenstand seiner Bemühungen zu präzisieren, als er den Freund und Retter deutscher Kunstaltertümer Sulpiz Boisserée am 21. Februar 1835 zum General-Inspector der plastischen Denkmale des Mittelalters berief. Friedrich Wilhelm, Kronprinz von Preußen, gratulierte Boisserée schon tags zuvor zur Ernennung zum königlich bayerischen Oberbaurat. Wenig als einen Monat später stellte eine Kabinettsordre Friedrich Wilhelms III., des regierenden preußische Königs, fest, daß dem Ministerium der geistlichen Unterrichts- und Medizinalangelegenheiten die Sorge für die Konservation der Baudenkmäler und Ruinen übertragen sei.
Daß den Baudenkmalen in der Welt der Denkmale eine besondere Würde zukommt, da sie, ortsfest wie sie sind oder doch sein sollten, der Mnemosyne in besonderer, in einer auch in jedem Sinne technischen Weise dienen, braucht nicht weiter erörtert zu werden. So ist es auch zu verstehen, daß Boisserée seinen Dienst als Baubeamter antrat, obwohl er sich selbst doch als ein Archivarischer verstand. Aber ganz unbeteiligt an dieser Akzentverschiebung war er selbst doch nicht, leitete er doch den Abschnitt seines am 13. Januar 1828 dem Geheimrat in Weimar übermittelten Berichtes über die Münchener Kunstzustände den Abschnitt, der sich mit den Neubauten Ludwigs I. beschäftigt, mit den Worten ein: Was aber die Baudenkmale betrifft... So hatte Boisserée dann keinen Grund zu schmollen, als nach seiner Resignation als Generalinspektor der plastischen Denkmale Friedrich von Gärtner sein Nachfolger wurde. Damit wurde auch in Bayern Tatsache, was in Preußen seit Karl Friedrich von Schinkel selbstverständlich war, daß nämlich das Denkmalwesen und damit die Denkmalkunde in den Händen der Architekten lag. Auch als in der Mitte des Jahrhunderts der Kunstdenkmalbegriff die Denkmalkunde wieder zu akzentuieren begann, redeten die Architekten noch lange mit, ehe der junge Stand der Kunsthistoriker sich eindrängte. Auch die ab 1897 erschienenen ersten Hefte der 1878 vom Bayerischen Architekten- und Ingenieurverein initiierten Publikationsreihe Kunstdenkmale des Königreiches Bayern waren, neben dem Sohn des bayerischen Generalkonservators Wilhelm Heinrich Riehls, dem Kunsthistoriker Berthold Riehl, vom Architekten Gustav von Bezold begonnen. Schließlich wurde auch noch die Zeitschrift "Die Denkmalpflege" 1899 von der Redaktion des Zentralblattes für Bauverwaltung und damit letztlich vom Preußischen Ministerium für öffentliche Arbeiten herausgegeben. Inzwischen hatte aber nun doch mit Paul Clemen, nach dem Sonderfall Franz Xaver Krauß in Elsaß-Lothringen, in der preußischen Rheinprovinz ein Kunsthistoriker, blutjung noch, das Geschäft der Denkmalkunde ganz allein in die Hand genommen, um 1891 den ersten Band der Kunstdenkmäler der Rheinprovinz vorzulegen.
In der Donaumonarchie war schon 1873 die 1853 in Wien begründete K.K. Zentralkommission für die Erforschung und Erhaltung und Erhaltung der Baudenkmale in Zentralkommission für Erforschung und Erhaltung der Kunst- und historischen Denkmale umbenannt worden, womit dort die alte Dichotomie wiederauflebte. Doch wurde ebendort im Frühjahr 1903 mit einer personalpolitischen Entscheidung eine Revolution des Denkmaldenkens und damit der Denk-malkunde eingeleitet: Ein erfolgreicher Hochschullehrer, Verfasser mehrerer Aufsehen erregender kunstwissenschaftlicher Publikationen, konnte, zunächst provisorisch, zum Generalkonservator berufen werden: Alois Riegl - ein heute (vielleicht nur noch) undenkbarer Vorgang. Die Revolution kam noch im gleichen Jahr, also kurz vor dem, was Hans Sedlmayr dann Revolution der modernen Kunst genannt hat, in Gang: Mit der Veröffentlichung eines Entwurfs einer gesetzlichen Organisation der Denkmalpflege in Österreich und einer Einführung hierzu mit dem Titel: Wesen und Entstehung des modernen Denkmalkultus.
Es ist leider zu befürchten, daß die nun fälligen Begehungen des Riegl-Kultus, wie ihn Wolfgang Kemp ebenso scharfsinnig wie kritisch genannt hat, in zwei getrennten Lagern stattfinden werden, dem der Kunsthistoriker, die in die Denkmalpflege hineinreden, und dem der Denkmalpfleger - was sind das eigentlich für Leute? -, die in die Kunsthistorik hineinreden. Auch ist wohl nicht zu hoffen, daß bis zu den zu erwartenden Säkularfeiern über die angekündigte Aufsatzsammlung hinaus eine längst fällige, kritische und kommentierte Gesamtausgabe der Werke Alois Riegls vorliegt, welche uns die Gesamtstruktur dieser Persönlichkeit zeigt und den inneren Zusammenhang seiner Werke verdeutlicht, etwa der genannten Einführung zum Entwurf eines Denkmalschutzgesetzes mit dem etwas älteren Buch über das holländische Gruppenporträt oder mit der nicht mehr selbst veröffentlichten Vorlesung über die Entstehung der Barockkunst in Rom - Riegl ist 1905, siebenundvierzigjährig an schwerer Krankheit, gestorben. Man würde dann vielleicht erkennen, daß Riegl in allen seinen Äußerungen den Begriff des Bürgertumes von Kunst, die sich in Stilen dem Genuß darbietet, ebenso zu Grabe getragen hat wie kurz darauf Picasso, Kandinski und alle die anderen Revolutionäre der modernen Kunst.
Man könnte wohl auch Heinrich Wölfflin, nicht einmal gegen den Strich, in diesem Sinne lesen. Es erübrigt sich zu sagen, daß damit auch der Kunstdenkmalbegriff des Bürgertumes zusammengebrochen ist. Das Kunstdenkmal wurde über seine Bedeutung für die lokale und die allgemeine Entwicklungsgeschichte der Kunst zum Zeugnis der Geistesgeschichte - so Max Dvorak, der Nachfolger Riegls. Die damit auftauchende Gefahr, aller Wertunterschied zwischen den einzelnen Erscheinungen werde verschliffen, hat dann Hans Tietze, an der Österreichischen Kunsttopographie bahnbrechend beteiligt, 1925 scharfsinnig erkannt. Andererseits konnte das Kunstdenkmal nun über seine kompatible Struktur, die Riegl, ohne sie so zu benennen, zum Gegenstand seiner Untersuchungen gemacht hatte, durch Hans Sedlmayr, über Max Dvorak Enkelschüler Riegls, zum Symptom und Symbol der Zeit werden: Die Kunst und damit das Kunstdenkmal entzog sich so der Autonomie, die ihm das Bürgertum zuerkannt hatte. Die Kunst und damit die Kunstgeschichte schien nicht mehr zu retten zu sein: Hans Sedlmayr versprach sich zwar Wiedererweckung der Kunstgeschichte durch eine Zweite Kunstwissenschaft, mußte aber auf der drittletzten Seite seines Hauptwerkes, die Entstehung der Kathedrale, eingestehen, daß er eine solche Kunstgeschichte der Kathedrale - noch - nicht leisten könne. Immerhin hat die Interpretation von Kunst als Symptom und Symbol der Zeit den Blick auf ganze Kontinente vor allem der Kunst des 19. Jahrhunderts eröffnet und dabei unversehens die Wunderwerke der Technik wie Kristallpalast und Eiffelturm als Gegenstände der Kunstgeschichte sehen gelehrt, hat die kunstgeschichtliche Relevanz von Fabrikarchitektur entdeckt. Ferner hat die Theorie der "kritischen Form" die Brüche und Verwerfungen der Kunstgeschichte erleben lassen. Schließlich konnte der Verlust der Mitte Trauerarbeit am Grabe der bürgerlichen Kunstgeschichte in Gang setzen, ohne die eine Wiederherstellung des Kunstbegriffes nicht denkbar wäre. Inzwischen, 1983, hat Hans Belting nach dem Ende der Kunstgeschichte gefragt, nicht zuletzt auch, weil die Inventarisation des Materials nahezu abgeschlossen scheint. In der Revision seines Essays über die Frage nach dem Ende der Kunstgeschichte hat Hans Belting 1995 allerdings diesen Satz gestrichen - vielleicht bereits das Vorzeichen einer Wende?
Indem mit der Methode der Strukturanalyse das Kunstwerk als Symptom und Symbol der Zeit interpretiert werden konnte, wurde es jedoch auch neu zum Geschichtsdenkmal, nicht im Sinne der Illustration von Geschichte, sondern als Quelle von Aussagen über die Geschichte, wie sie von keiner anderen Quellenart überliefert werden konnte. Mit der Integration des Kunstwerks in den Fundus der Geschichtsquellen mußte aber ein Aspekt des Kunstdenkmals als Geschichtsdenkmal aktuell werden: Sein Vergangenheitscharakter mußte wieder ernst genommen werden, wobei an die schon zitierten Überlegungen Benedetto Croces angeschlossen werden konnte. Als Symptom und Symbol der Zeit kann aber nur ein Kunstwerk interpretiert werden, wenn es als Zeugnis einer abgeschlossenen Epoche gelten kann. Was aber eine abgeschlossene Epoche ist, wird nicht mehr am Stil erkannt, sondern an der Strukturganzheit von Epochen. Auch dies bleibt als ein Ergebnis zu bedenken, welches diese Art von Kunstgeschichte für die Denkmalkunde erbracht hat.
In Reaktion auf diesen Zusammenbruch der bürgerlichen Kunstgeschichte hat uns die Denkmalkunde die sogenannte "Erweiterung des Denkmalbegriffes" beschert, die in Wirklichkeit nicht eine Erweiterung war, sondern eine Wiederherstellung des alten Denkmalbegriffes, nicht mehr eingeschränkt durch den Kunstbegriff des Bürgertumes - von dem sich Alois Riegl mit dem Begriff des Alterswertes ebenso verabschiedet hat wie mit der rezeptionsästhetischen Interpretation des holländischen Gruppenbildes. Diese Wiederherstellung des allgemeinen Denkmalbegriffes mußte jedoch - gelinde gesagt - flankiert werden von dem Gedanken, daß die Gesamtgesellschaft, jetzt zur Verantwortung für die Denkmale aufgerufen, sich nur für die Denkmale allgemeinen Interesses als verantwortlich betrachten kann. Die durch den Anschein der Erweiterung zu Bewußtsein gekommene Denkmälermasse ließ sich nun durch den Begriff des allgemeinen Interesses jederzeit in Bedeutungsklassen einteilen, um die Verantwortung zu beschränken, sobald man die Allgemeinheit des Allgemeinheitsbegriffes nicht mehr ernst nimmt, sondern ihn einschränkend definiert, sei es mit gestelzten juristischen Formulierungen, sei es manipulierend z. B. als sozialistische Gesellschaft, z.B. als Nutzungsgesellschaft.
Wie konnte in dieser Situation die Denkmalkunde noch Denkmalwerte vermitteln? Die Hintertür, welche die Verfasser und Kommentatoren der Denkmalschutzgesetze mit der Kategorie der künstlerischen Bedeutung neben der geschichtlichen offengelassen haben, führte natürlich nur in eine unverbindlich-verblasene Ästhetik der Reize, mit deren Lieblingswort "reizvoll" wohl kaum viel Opferbereitschaft oder gar Lebensverzicht zur Erhaltung von Denkmalen zu motivieren ist. Verfänglicher war zweifellos der Symbolwert der Identitätspsychologie, der den Denkmalen zugesprochen werden sollte. Doch wie, wenn Identität nicht von optimistisch besetzter Kontinuität getragen wird, wenn die Identität durch Brüche, ja, durch Schuld in Frage gestellt ist? Dann ist doch eher Vergessen angesagt als Andenken. Als ein gangbarer Ausweg bot sich dann aber die Erkenntnis an, daß die sogenannte Erweiterung des Denkmalbegriffes, konsequent weitergedacht, unsere ganze Kulturlandschaft zum Denkmal macht, zumal für das schlichte Denkmal gerade in Gesetzestexten das Kulturdenkmal eingetreten war, das man doch, wenigstens in Deutschland und Österreich, wenn auch mit jeweils umgekehrtem Vorzeichen, aus verfassungsrechtlichen Gründen vom Naturdenkmal unterscheiden mußte. Wir wissen, welche Konflikte hierdurch angeregt wurden, wir wissen, daß inzwischen global geläufige Begriffe wie Patrimonium, Erbe, Gut (Bien) die Möglichkeit eröffnen, wenigstens wieder die Kopula zwischen Natur und Kultur, ja, zwischen Natur und Kunst an einer Stelle einzusetzen, wo sie schon stand: Natur und Kunst, sie haben sich, eh' man es denkt, gefunden... (Goethe, 1802). Und damit war Denkmalkunde plötzlich Umweltkunde, Denkmalpflege Umweltpflege und Denkmalschutz Umweltschutz.
Die Konsequenz für die Denkmalkunde aus einer Entwicklung zur Unweltkunde und in Parallele zur Entstehung einer globalen Multikultur wäre doch, wenigstens unser ganzes Erdenrund als ein einziges Denkmal anzusprechen. Doch hier spricht der Realist, nun wieder im Gewande des Juristen, der einen solchen absurden Gedanken sofort juristisch würdigen muß, ein entschiedenes Halt. Denkmalschutz, Denkmalpflege und somit auch Denkmalkunde hat sich also, so die herrschende Meinung, dem Denkverbot durch das juristisch nicht Akzeptable zu beugen. Was bliebe dann dem Denkmalanwalt zur Vermittlung von Denkmalwerten? Zumal da es einen Denkmalanwalt eigentlich gar nicht geben darf, sondern nur Menschenanwälte? Ihm bleiben nur noch die Mittel des Ankaufs und Verkaufs von Denkmalwerten. Denkmalkunde müßte dann, wie es auch empfohlen wird, zur Denkmalwerbung werden. Solche Denkmalwerbung verspricht dann z. B. Standortqualität oder Arbeitsplätze, verspricht die Aufwandminimierung durch Bauforschung, lockt mit Preisvorteilen, wie unmittelbaren und mittelbaren Subventionen, oder auch mit Gewinnmaximierung in der Tourismusbranche - alles Dinge, die mit Denkmalkunde nichts mehr zu tun haben, aber die Arbeitskraft der Fachbediensteten absorbieren und oft genug die Denkmale in Gefahr bringen - ganz abgesehen von dem, was geschieht, wenn einer dieser Wechsel platzt.
Konsequent war es jedenfalls, nunmehr die Kunst aus den Titeln denkmaltopographischer Publikationen zu eliminieren. Man muß sich dabei sogar wundern, wie lange sich die Kunst im Titel der Zeitschrift der Landesdenkmalpfleger in der Bundesrepublik erhalten hat, bis sie 1994, zugleich mit dem längst obsoleten "deutsch" verschwand. Die Zeitschrift nennt sich seitdem wieder "Die Denkmalpflege", allerdings ohne daß die ursprünglich tragende Institution, nämlich das königlich preußische Ministerium für öffentliche Arbeiten rekonstituiert worden wäre. In den gleichen Zusammenhang gehört auch, daß die Denkmalpflege und damit die Denkmalkunde mehrfach aus den Kultusministerien der Länder herausresortiert worden ist, obwohl Grund zu der Annahme besteht, daß sich seinerzeit der Architekt und Baurat Ferdinand von Quast als königlich preußischer Konservator der Kunstdenkmäler in der Obhut des Ministeriums für kirchliche, Unterrichts- und Medizinalangelegenheiten ganz gut aufgehoben fand.
Die denkmalkundliche Problematik, die zwischen der Erkenntnis, daß alles, was von vergangener Leistung zeugt, Denkmal sein kann, und der Aufgabe glaubhafter Vermittlung von Denkmalwerten entstanden ist, hat sich bereits bei der einfachen Frage ergeben, wie jeweils die Grenze von Baudenkmalen zu definieren sei. Ist es im Eisenbahnwesen nur das Empfangsgebäude oder nicht doch der ganze Bahnhof, ist es darüber hinaus, um wirklich von Eisenbahn zu sprechen, nicht die - oft genug unter landschaftlichen Aspekten - trassierte Strecke mit ihren Brücken, Dämmen, Einschnitten, Tunneln - also ein Landdenkmal vielleicht über hunderte von Kilometern? Wendet sich die denkmalkundliche Untersuchung einer Kathedrale zu, so stellt sich bald die Frage, ob nur Domkirche zu betrachten ist oder nicht doch das ganze Domstift; ferner die Frage, ob sich das Domstift von der Bischofsstadt lösen läßt, und schließlich, ob die Bischofsstadt an den - womöglich gar nicht vorhandenen - Zeugnissen einer Wehreinheit ihre Grenze findet oder ob ihr nicht doch die Landschaft, die sie strukturiert hat, zugehört. Es war eine geradezu erschütternde Einsicht, als die Denkmalkunde entdeckte, welche Gefahren die Einengung ihres Blickes auf die städtebauliche Bedeutung von architektonischen Ensembles für die Denkmale des dahinschwindenden Landes gebracht hatte. Muß sich der Blick der Denkmalkunde nicht der Kulturlandschaft als Ganzem zuwenden?
Die denkmalkundliche Materie nimmt Ausmaße an, die sich gesetzlichen Regelungen und Verordnungen entziehen, eine Erkenntnis, der sich die Rechtswissenschaft nicht verschließt. Der Schutz der Kulturlandschaft als Denkmal ist nicht mehr normativen und zugleich auf den Einzelfall anwendbaren, verbindlichen Bestimmungen zugänglich.
Dabei ist zu bemerken, daß sich jenseits des Bereiches normierbaren Rechtes möglicherweise Denkmale von allerhöchster Bedeutung finden lassen, welche der Aufmerksamkeit der Allgemeinheit durchaus anzuempfehlen sind - vielleicht sogar Kunstdenkmale, diese allerdings jenseits des bürgerlichen Kunstbegriffes. Jedenfalls erwächst der Denkmalkunde, will sie überhaupt glaubhaft bleiben, sollen sich aus ihr überhaupt Schutzansprüche ableiten lassen, die Aufgabe, in der Denkmalwelt beschreibend zu akzentuieren. Wenn sich eine Denkmallandschaft innerhalb der allgemeinen Kulturlandschaft als größte theoretische denkbare Denkmaleinheit umgrenzen läßt, wie sie auch von der Historischen Geographie definiert wird, dann wird die Frage unausweichlich, ob sich eine Denkmallandschaft auch als Kunstdenkmal akzentuieren läßt. Und so meldet sich der Begriff des Kunstdenkmals an der äußersten Grenze der Denkmalkunde wieder. Er kann sich wieder melden, weil er nicht mehr im Verruf steht, das Kunstdenkmal nur dem Kunstgenuß als Stimulans zur Verfügung zu stellen.
Mit der Revolution der modernen Kunst wird der Begriff der Kunstwerkes und damit des Kunstdenkmals frei für eine Wiederherstellung seiner ursprünglichen Bedeutung, in welches diejenige, die ihm das Bürgertum des 19. Jahrhunderts gegebene hat, durchaus aufgehoben sein kann. Freilich wird diese Freiheit damit erkauft, daß ein als universaler Kunstbegriff nur als asymptotischer existieren kann, zumal nach ihm Kunst immer nur im Kontext, nie autonom erscheint. Ich muß jedoch, ebenso wie Albrecht Dürer von der Schönheit, eingestehen: Was Kunst ist, das weiß ich nicht. Ich schäme mich dieses Eingeständnisses nicht, nachdem die gesamte Kunstgeschichte - Hans Sedlmayr als Symptom - nicht in der Lage war zu sagen, was Kunst sei. Im gleichen Jahr 1936, in dem Walter Benjamin mit dem Verlust der Aura des Kunstwerkes durch seine technische Reproduzierbarkeit auch den Verlust des Traditionswertes des Kulturerbes diagnostizierte, hat Martin Heidegger die Kunst noch als ein Werden und Geschehen der Wahrheit bezeichnet, doch mußte selbst er dies 1950 unter seine Holzwege einreihen - auch dies entbindet mich von der Scham, daß ich nicht weiß, was Kunst sei. Sollen wir es daher aufgeben, die Kunst in ihrem Kontext - etwa in ihren Denkmalen, etwa in der Kunstgeschichte der konkreten Landschaft - mit den Mitteln der Kunstdenkmalkunde als wertkonstituierend erkennbar zu machen? Sollen wir von solchem Bemühen lassen? Wieder mit Albrecht Dürer: Den fihischen gedanken nem wir nit an! Denn: In der wieder weit gewordenen Welt der Denkmale hat die Denkmalkunde, auch um ihrer der Glaubhaftigkeit willen, zu akzentuieren. Solange es sich dabei materiell überliefertes Menschenwerk handelt, das über die schlichte Bezeichnung des Geschichtsortes hinausgeht, bleibt somit zur Darstellung von Bedeutung nur das eine - der aus aller Einschränkung befreite, also wiederhergestellte Begriff des Kunstdenkmals.
Dabei trägt mich allerdings auch die Hoffnung, daß es in den als Preis von Leistung, auch von kollektiver Leistung, in hohem Maße gelungenen Werken tatsächlich Kunst gibt, wenn ich sie auch nicht definieren kann. Die Existenz von Kunst, auch in der Gegenwart, ist aber die unverzichtbare Voraussetzung zur Erkenntnis von Kunstdenkmalen. Hoffnung hierauf macht mir auch Hans Georg Gadamer, der nicht nur Hegels Lehre vom Vergangenheitscharakter der Kunst in einem positiven Sinne neu verständlich macht, sondern weiterdenkend feststellt, daß jedes vermeintliche Ende der Kunst [...] der Anfang neuer Kunst sein [wird]. Damit ist aber auch die Möglichkeit eröffnet, daß der Begriff von Kunst einer Erneuerung - oder eine Wiederherstellung - erfährt.
Zur einer solchen Hoffnung ermuntert mich weiter mehrfacher Anschein: Zunächst scheint es Menschenwerk zu geben, dessen Untergang die Fähigkeit zur Trauer übersteigt. In Dresden sinkt am 14. Februar 1945 die Kuppel der Frauenkirche in sich zusammen - bereits im März darauf stellen der Denkmalpfleger Walter Henn und der Architekt Arno Kiesling, ungeachtet der absoluten Hoffnungslosigkeit des Unterfangens, erste Überlegungen zur Wiedergewinnung des Kunstdenkmals an, trotz immer neuer Behinderungen fortgeführt von Hans Nadler. Wenige Wochen ist es her, daß zwei Konventualen und zwei Konservatoren von herabstürzenden Trümmern in San Francesco zu Assisi erschlagen werden beim ebenso vergeblichen Versuch, die Katastrophe ungeschehen zu machen - aber doch nicht, um den Tourismuswert der Cimabue-Fresken wiederzugewinnen.
Ein anderer Anschein, der dialektisch für die Existenz von Kunst in Denkmalen spricht: Will man Denkmale, weil sie unbequem sind, um der Damnatio memoriae willen, zerstören, so scheint eine Erklärungsnotwendigkeit zu bestehen: Man muß versichern, daß sie ohne Kunstwert sind. Der Abbruch des hiesigen Köngsschlosses benötigte einer solchen Legitimation sicher ebenso wie der intendierte Abbruch des Palastes der Republik ihrer bedarf. Das gleiche gilt für nicht unbedeutende Zeugnisse der deutsche Architektur zwischen 1933 und 1945.
Und ein Drittes treibt mich zur Suche nach der Kunst auch im Denkmal aus der Vergangenheit, nämlich der Ruf nach ihr, wenn dem Unbegreiflichen ein Denkmal zu setzen ist: Einer der kompetentesten Interpreten der Kunst nach der Revolution der modernen Kunst, Werner Schmalenbach, glaubt, daß allein große Kunst in der Lage sei, dem Holocaust ein angemessenes Denkmal in der Öffentlichkeit unserer Gesellschaft, also hier in Berlin, zu setzen. Wenn demgegenüber die Sorge laut würde, ein Denkmal, welches nur Kunst sei, könne dem Auftrag nicht genügen, so beruht diese Sorge auf einem eingeengten Kunstbegriff. Vielmehr muß das Gelingen eines solchen Denkmals in seiner Gesamtheit gerade als ein Erfolg von Kunst in einem Form und Inhalt umfassenden Sinne erhofft werden.
Ob es allerdings gelingen kann, einem solchen Geschehen an den Stätten
des Grauens selbst angemessene Denkmale zu setzen, bleibt fraglich - die
Gedenkanlage von Ludwig Deiters und seinem Kollektiv auf dem Ettersberg
bei Weimar lebt von einer Teilinterpretation und damit von einer Uminterpretation
des unsäglichen Geschehens. Am Ort des Geschehens selbst kommt es
kaum zum Favete linguis, das hier einzig der Wirklichkeit gemäß
wäre. Hier scheint die Fähigkeit der plastischen Denkmale, um
einen Begriff Ludwigs I. von Bayern wieder aufzugreifen, am Ende zu sein.
Hier findet auch die Kunstdenkmalkunde ihre Grenze. Hier scheint es der
Monumenta aere perennius zu bedürfen, von denen Horaz in einer
der großartigsten kritischen Denkmaltheorien spricht, kurzgefaßt,
in einem Carmen.
Tilmann Breuer
"So ich mich je rühmen soll, will ich mich meiner Schwachheit rühmen" (2. Kor. 11 V. 30)
Zur verfassungsrechtlichen Stellung von wissenschaftlichen Fachbehörden.
Der folgende Text gibt, leicht erweitert und überarbeitet, eine Betrachtung wieder, die im November 1996 bei einem Empfang anläßlich des Übertrittes aus dem aktiven Dienst in den Ruhestand vorgetragen wurde. Einleitende persönliche Worte der Begrüßung und abschließende Worte persönlichen Dankes wurden hier weggelassen.
Zum Abschied nach fast vier Jahrzehnten der Tätigkeit im Bayerischen Landesamt für Denkmalpflege, einer wissenschaftlichen Fachbehörde, liegt mir eine Betrachtung 30. Verses im elften Kapitel des zweiten Paulusbriefes an die Korinther nahe. Martin Luther überträgt diesen Text in der deutschen Bibel von 1545 in seine plastische Sprache mit folgenden Worten: "So ich mich je rhümen sol / wil ich mich meiner schwachheit rhümen". Ich hatte dieses Wort nur dunkel in Erinnerung, verdanke den Stellennachweis fremder Hilfe, und doch hat mich die Erinnerung an dieses Wort oft gestärkt, wenn ich mit der Schwachheit der Fachbehörde, der ich angehörte, wenn ich mit ihren und meinen Mißerfolgen und Niederlagen konfrontiert war. Hier, bei dieser Gelegenheit soll mir das Pauluswort natürlich nicht Gegenstand einer Predigt sein - dazu bin ich weder berufen noch in der Lage. Es soll auch mir auch nicht Anlaß sein, mich über meine eigenen Schwächen zu verbreiten; sie sind bekannt, und ich habe dankbar erfahren dürfen, daß man mit ihnen zu leben bereit war. Das Pauluswort war mir vielmehr Anlaß, über die verfassungsrechtliche Stellung von wissenschaftlichen Fachbehörden, natürlich am Beispiel eines Landesamtes für Denkmalpflege nachzudenken.
Zum Verständnis der folgenden Gedankengänge scheint es mir aber doch nötig, sich die Situation zu vergegenwärtigen, aus der heraus Paulus dieses Wort an die christliche Gemeinde von Korinth gerichtet hat. In ein modernes, etwas saloppes Deutsch übertragen würde der in der griechischen Koine, der Weltsprache der Spätantike verfaßte Satz des Paulus etwa so lauten können: "Wenn man schon angeben muß, dann werde ich mit den Beweisen meiner Ohnmacht angeben".
Paulus formuliert diesen Satz natürlich als schriftgelehrter Hebräer, der, in strenger Pharisäertradition erzogen, das Buch seiner Religion, unser Altes Testament, auf das Genaueste kennt und weiß, daß dieses Buch über weite Strecken ein Hohes Lied der Schwachheit, der Ohnmacht ist, man denke allein an David und seinen Psalter. Andererseits richtet sich sein Wort an eine Gemeinde, die in einer der großen Metropolen seiner Zeit, einer Stadt des Welthandels mit einer ausgesprochen pluralistischen Population und Kultur lebt. In dieser Gesellschaft glaubt in Überlebensstrategien ein jeder sich durch Hinweis auf seine besonderen Stärken rühmen, behaupten zu müssen. Die Griechen rühmen sich ihrer philosophischen Bildung, die Juden ihres in der Tat einzigartigen, rigorosen Monotheismus. Aber es ist gerade dieser Selbstruhm, der dem Apostel ein Greuel ist, weshalb er auch das mediale Verb kaicasdai [i.O. in griechischer Schrift, Anm. d. Red.] verwendet, welches für ihn ausgesprochen negativ besetzt ist.
Paulus ist kein Philosoph, etwa ein Sophist, der für jedes Lebensproblem einen dialektischen Lösungstrick anzubieten weiß. Er ist aber auch kein Epikureer, der die Gaben dieser Welt zu genießen lehrt, da sie mit dem unausweichlichen Tode ausgelöscht sein könnten - er lebt ja im Glauben der Auferstehung. Er ist schließlich kein Stoiker, der sich durch nichts erschüttern läßt, im Gegenteil, die Erschütterung durch ein unbegreiflich bestürzendes Erlebnis hat ihn auf den Weg gebracht, den er jetzt geht, um eine schier unglaubhafte Wahrheit zu verkünden, die ihm jenseits aller Philosophie auferlegt ist.
Dabei ist Paulus ein gläubiger Hebräer, aber einer, der weiß, daß er das Gesetz des alleinigen Gottes nicht aus sich selbst hat, so daß er sich dessen rühmen könnte, sondern als eine Gabe, die ihm mit seinem Volk auf dem Berge Sinai von diesem Gotte selbst überantwortet ist.
An Beweisen seiner Schwachheit gibt es für Paulus keinen Mangel, denn sehr erfolgreich war seine missionarische Tätigkeit bis zu dem Tage, an dem er diesen Brief verfaßte, nicht - vielleicht ein paar Hundert Bekehrte, aber viel Mißverständnis, Schmach, Flucht, Vertreibung, ja, Mißhandlung. Und als er dann, nicht allzu lange danach, in Rom sein Martyrium auf sich nimmt, ist seine Erfolgsbilanz keineswegs viel ansehnlicher.
In aller Bescheidenheit, in unvergleichlich geringeren Dingen enthält die Stellung einer wissenschaftlichen Fachbehörde auch in einer demokratisch verfaßten Gesellschaft Elemente, die der Situation des Paulus in der antiken Welt vergleichbar ist. Auch sie hat keine genuine Macht oder Gewalt, die sie aus sich selbst erzeugt hätte, und schon gar keine verfassungsmäßig garantierte. Sie hat lediglich die Aufgabe, dasjenige, was sie in den ihr zugeteilten Fragekomplexen mit nachvollziehbarer Methode als zutreffend erkannt hat, der Gesellschaft, vor allem in ihren Verfassungsorganen, als ihrem Auftraggeber zu vermitteln.
Eine wissenschaftliche Fachbehörde ist im Rahmen der durch das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland von 1949 (Art. 20 Abs. 2) und der Verfassung des Freistaates Bayern von 1946 (Art. 5) festgeschriebenen Gewaltenteilung ein auf Anforderung tätiger Berater der Exekutive, wobei diese Anforderung durch die einschlägigen Gesetze und deren Vollzugsvorschriften weitgehend artikuliert ist. Eine wissenschaftliche Fachbehörde ist somit nicht Träger von politischen Entscheidungen, wie sie die Entscheidungen auch der Vollzugsbehörden letztlich doch sind. Sie legitimiert sich allein durch ihr Wissen, ihr Wissen auch um die sachgerechte Methode, und gerade dieses Wissen zwingt sie zur Bescheidenheit, denn sie weiß, daß jedes Wissen sich selbst immer wieder neu in Frage stellt. Dies allerdings ist eine Schwachheit, eine Schwäche, derer man sich wohl rühmen könnte, eine Schwäche aus dem Bewußtsein der Irrtumsmöglichkeit, woraus allerdings auch eine Pflicht und ein Recht folgt, Irrtümer zu korrigieren und zu den Korrekturen zu stehen sowie sie den Auftraggebern mitzuteilen. Wäre das nicht der Fall, würde sich die Fachbehörde ihres wissenschaftlichen Charakters begeben, denn sie weiß über sich selbst mit dem Bundesverfassungsgericht, daß Wissenschaft lediglich der "nach Inhalt und Form ernsthafte Versuch zur Ermittlung der Wahrheit" ist (Ständige Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtes, zitiert nach Dieter Martin: Denkmalkunde und Wissenschaftsfreiheit. In: Beiträge zur Denkmalkunde, München 1991, S. 124 = Arbeitshefte des Bayerischen Landesamtes für Denkmalpflege 56). Wissenschaftlichkeit begründet somit keine Machtlegitimation, sondern ist nicht mehr und nichts weniger als eine moralische Haltung. Wie die Macht der Wahrheit wirkt, liegt nicht in unserer Hand: "Tempus veritatem revelat".
Der Machtarmut der Wissenschaft und damit einer wissenschaftlichen Fachbehörde scheint jedoch das Grundrecht der Wissenschaftsfreiheit gegenüberzustehen. In der Tat genießt auch die wissenschaftliche Fachbehörde die Freiheit zur Neutralität, die zugleich eine Pflicht zur Neutralität ist: Wahrheit kann durch Gruppen- oder Individualinteressen, und seien sie politisch noch so mächtig, nicht angewiesen werden. Denkmalbedeutung ist nicht ideologisch zu begründen, der Umgang mit Denkmalen ist nicht durch Ideologien beschränkt zu empfehlen (Werner Schiedermair: Rechtsfragen der Inventarisation - Dargestellt am Beispiel der "Grundsätze für die Inventarisation der Kunst- und Geschichtsdenkmäler Bayerns. In: Beiträge zur Denkmalkunde, München 1991, S. 130 = Arbeitshefte des Bayerischen Landesamtes für Denkmalpflege 56). Ideologiefreiheit anzustreben ist eine Grundpflicht der Wissenschaft.
Es ist jedoch selbstverständlich, daß jede Freiheit der Wissenschaft durch Grundrechte beschränkt werden kann. Die verfassungsmäßige Stellung einer wissenschaftlichen Fachbehörde schränkt jedoch in ihrem Rahmen die Freiheit der Wissenschaft weiter und in nicht zu leugnend empfindlicher Weise in zweierlei Hinsicht ein: Ein Grundrecht der Wissenschaftsfreiheit ist die des Fragens; es gibt in der freien Wissenschaft kein Frageverbot. In der einer Behörde angewiesenen Wissenschaft gibt es jedoch Fragegebote, sie muß den natürlich politisch bedingten Fragestellungen der Gesellschaft wissenschaftlich begründete Antworten geben. Empfindlicher noch als diese Einschränkung ist jedoch, daß die Verbreitung der durch eine wissenschaftliche Fachbehörde gewonnenen Ergebnisse aus politischen Gründen eingeschränkt werden kann, wenn es das Gemeinwohl erfordert. Dies ist fürwahr eine bittere Einschränkung, für die aber der politische Entscheidungsträger in jedem einzelnen Falle die Verantwortung zu tragen hat. Dem Wissenschaftler in einer Fachbehörde bleibt dann nur die Hoffnung auf die Macht der Wahrheit zur Selbstenthüllung; vor allem aber: Er kann nur gezwungen werden, zu schweigen, nicht aber, Unwahrheiten zu äußern. Schließlich erweist sich dann auch diese Schwäche einer wissenschaftlichen Fachbehörde als eine, derer sie sich rühmen darf.
Konkret sind einer Fachbehörde für Denkmalschutz und Denkmalpflege die drei folgenden Fragen gestellt:
Erstens: Was ist ein Denkmal, dessen Erhaltung im allgemeinen Interesse liegt?
Zweitens: Welcher Eigenart ist das jeweilige Denkmal allgemeinen Interesses?
Drittens: Welches ist der angemessene, Erhaltung gewährleistende Umgang mit dem Denkmal allgemeinen Interesses?
Es dürfte sofort klar sein, daß die erste dieser Fragen die Grundfrage ist. Dabei findet das allgemeine Interesse an der Erhaltung von Denkmalen seine Legitimation im ersten Grundrecht des Grundgesetzes der Bundesrepublik Deutschland, wie es im ersten Satz des Artikels 1 heißt: "Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt". Da aber seine Geschichtlichkeit Element der Würde des Menschen ist, ist Denkmalschutz Vollzug dieses ersten Verfassungsauftrages. Bis in die jüngsten Tage hinein wird mit erschreckender Deutlichkeit vor Augen geführt, wie die Beschädigung der in Denkmalen manifester Erinnerung die Menschenwürde zutiefst verletzt. Konkretisiert wird dieser Verfassungsauftrag z. B. im zweiten Absatz des Artikels 141 der Verfassung des Freistaates Bayern, der mit den Worten beginnt: "Staat, Gemeinden und Körperschaften des öffentlichen Rechts haben die Aufgabe, die Denkmäler der Kunst, der Geschichte und der Natur sowie die Landschaft zu schützen und zu pflegen...".
Da aber jedem Denkmal der Kunst und der Geschichte als von Menschen gemacht Individualität eignet, kann die dritte Frage, die nach dem angemessenen Umgang mit dem Denkmal, nur beantwortet werden nach vorausgehender Analyse der speziellen Eigenart des jeweiligen Denkmals und damit nach Beantwortung der zweiten Frage.
Zur Beantwortung dieser Fragen ist die Anwendung von Gewalt nicht erlaubt, nicht nur weil die Erzwingung von Antworten Grundrechte verletzen könnte, sondern weil erzwungene Antworten grundsätzlich suspekt sind; und die Beantwortung dieser Fragen verleiht selbst noch keinerlei Gewalt. Hier mag man einwenden, das zur raschen und unkomplizierten Anwendung der über den angemessenen Umgang mit Denkmalen gewonnenen Erkenntnisse der Fachbehörde Staatsmittel zur Verfügung stehen können und daß Staatsmittel, etwa in der Form von verlorenen Zuschüssen, eben doch Macht und Gewalt in die Hände der Fachbehörde legen. Dabei ist jedoch in Erinnerung zu behalten, daß diese Macht und Gewalt, an sich schon beschränkt, immer eine an Bedingungen geknüpfte und vor allem von der jeweiligen Haushaltsgesetzgebung neu übertragene ist, also auch jederzeit vom eigentlichen politischen Entscheidungsträger zurückgenommen werden kann. Ihre Legitimation erfährt diese Übertragung nur durch das Ziel, in begrenzten Fällen schnelles Handeln zur Erhaltung von Denkmalen zu ermöglichen.
In noch weitergehender Gefahr der Verunklärung stehen die angemessenen Strukturen des Zusammenspiels von gewaltbewehrtem Denkmalschutz und wissenschaftlicher Fachbehörde der Denkmalpflege allerdings dort, wo Denkmalschutzbehörden und Fachbehörden miteinander verquickt sind. Die gewissenhafte Scheidung zwischen Staatsmacht und Ohnmacht der Wissenschaft ist dort dem jeweiligen Entscheidungsträger überbürdet.
Die Schwachheit der wissenschaftlichen Fachbehörde begründet jedoch ihre Glaubhaftigkeit in ihrer Außenwirkung. Durch die von Grundsatz ihrer Neutralität, durch ihr vom Streben nach Ideologiefreiheit getragenen Beantwortung der Grundfragen wird sich die Allgemeinheit als Staat und Gesellschaft dessen, was sie tut bewußt. Dieses Bewußtsein ist aber die Grundvoraussetzung legitimen, demokratischen Handelns zur Wahrung und Förderung des Gemeinwohls. Steht man in aller Schwachheit beharrlich zu dem, was man als zutreffend erkannt hat, so bleibt dies nicht ohne Erfolgsverheißung - kann sich doch Paulus seiner Schwachheit wahrlich rühmen. Sie hat die Welt verändert bis auf den heutigen Tag.
Tilmann Breuer
Festvortrag anläßlich der Eröffnung der zweiten Förderungsphase des Graduiertenkollegs Kunstwissenschaft - Bauforschung - Denkmalpflege der Otto-Friedrich-Universität Bamberg und der Technischen Universität Berlin am 24.4.1999 in Bamberg
Zusammenfassung als Stichpunktnotizen aus der Mitschrift von Konrad Fischer (Autorisierter Volltext von der Uni Bamberg publiziert)
Zuerst steht die Frage, wie sich die drei Fächer Kunstwissenschaft - Bauforschung - Denkmalpflege förderlich sein können? Sie haben ja kein konfliktfreies Verhältnis.
Kunstwissenschaft (K) will über Kunst Verbindliches aussagen.
Bauforschung (B) stellt die Frage, was ist Bauen und wie verwirklicht es sich?
Denkmalpflege (D) ist praktische Tätigkeit, will Denkmale erhalten.
B ist auch Bauschadensforschung als Grundlage der denkmalpflegerischen Praxis.
Beispiel: Verformungsgetreues Aufmaß, als praktisches Instrument der Instandsetzungsplanung und als Hilfe, um sinnlose Baukosten aus falschem Eingriff zu sparen.
Problem: B ist auch "menschlicher Urtrieb". Anfang und Ende der B: "Wunder, daß der Mensch etwas Stabiles aufbauen kann".
Beispiel: Macauley "Sie bauten eine Kathedrale".
B kennt keine Epochenbegrenzung. Ihre Methoden entstammen der Archäologie. (Dörpfeldt, Olympia). B ist ein Glied der Humaniora, sie ist existenziell interessant. Breuers eigene Bauforschung begann z.B. an einem hölzernen Kornkasten Oberbayerns unter Kollege Wilhelm Neu. B fragt auch: Woraus ist das "Wunder gebaut"? Licht? (Kathedrale), Materie? Die allgemeine B darf Bauwerk und seine programmatische Ausstattung nicht trennen.
Ein Bauwerk ist die stabile Organisation des Ortes, es ist Verewigung eines Wertes/Wertbegriffes. Die historische B ist Denkmalforschung. Erst Wissen erzeugt Denkmalexistenz. B darf nicht nur Realisationshilfen mit Dokumentation für den Einzelfall liefern, sie muß publizieren!
Bauwissenschaft muß zeigen, was Bauen ist.
Kunstwissenschaft muß zeigen, was Kunst ist. Heute ist die klassische Kunst als unabdingbares Fundament der Kunstwissenschaft nicht mehr selbstverständlich.
Von sich selbst sagt Breuer, im Anklang an scio nescio: "Ich weiß nicht, was Kunst ist!"
Anscheinend existiert Kontradiktion zwischen Kunst und Wissenschaft.
Im Kunstkult des 19. Jhs. galt der Baumeister als Wissenschaftler, wußte er doch um das Bauen. Kunst mußte damals entmythologisiert werden. Es entstand die Theorie des Stilwandels - "Kunst durfte sein, was Stil hatte" (z.B. Semper). Es entstand Mißverständnis um Sempers angeblich materialistischer Auffassung. Wölfflin zeigte in seiner Dissertation "Stilwandel als Bewußtseinswandel". Somit werden alle Epochen vor höherer Instanz gleichwertig, dies wertet üblicherweise verachtete Übergangszeiten auf. In dieser Frage leistet Schmarsow wichtige Beiträge, auf denen auch Pinder dann aufbaut. Dessen Haltung ist als "Psychologismus" teils berechtigterweise anzugreifen. Pinder: "Vom Wesen und Werden deutscher Formen - Untertitel: Geschichtliche Betrachtungen." Ein später Versuch, Kunst- und Stilwandel wertfrei zu betrachten. Riegls "Alterswert" wird als Resignation vor der Vergänglichkeit verstehbar. Kunst als Geschichtswerk, als "Symbol der Zeit". Historismus?
In den 70ern korrespondiert damit die Kunstwissenschaft als Soziologismus, eine Instrumentalisierung des Kunstprozesses im Lehrgebäude des Sozialismus. Der Wertebegriff verflachte schon in den 30ern.
Sehr wichtig ist Paul Frankls "System der Kunstwissenschaft" - ein "schön" gedrucktes Werk. Überschaubare Ordnung, bewundernswerte Systematik, die noch heute absolut tragfähig ist. "Kunst ist Form als Symbol ihres Sinnes". Frankl liefert [in Anknüpfung an die antike Erkenntnislehre, an die hierarchische Systematik des Aeropagiten - K.F.] eine Kunstdeutung als Explikation von Sinn in vier Dimensionen, anagogisch aufsteigend. Die Werte von Form werden so zu Werten von Sinn! Der sinnhafte Aufstieg erfolgt über den Schöpfer des Werks hin zum Schöpfer der Welt. Kunst im Zusammenhang des Weltganzen.
Frankls System darf und muß am Tor des Absoluten rütteln, läßt es aber verschlossen. Nur das Glaubenssystem darf und kann diese Pforte eröffnen. Was ist aber, so fragt Breuer sokratisch, und ganz im Sinn der negativen Theologie von den Kirchenvätern bis Bonhöffer, wenn hinter dem Tor NICHTS ist?
So kommt Gombrich zur "Negation der Kunst": "Es gibt nur Künstler". 60er-Jahre-Kunst sieht Realisation nur im Menschenwerk, dessen Rang möglicherweise zu erhaltenswerten Erzeugnissen führen mag, im öffentlichen Interesse. Daraus kann dan Denkmalpflege Argumente schöpfen und ihre Begründung liefern.
Konflikt der Denkmalpflege am Beispiel der gestifteten Bronzetür des St. Michael-Heiligtums auf dem Monte Gargano. Dort trifft Breuer eine fleißige Putzfrau, die die alte Tür mit modernen Putzmitteln glänzend schrubbt. Unter Hinwegnahme des Alterswerts, der Patina, der Substanz. Ironie: Inschrift des Stifters auf der Tür (latein), sinngemäß: Einmal jährlich putze mich, damit ich mit überirdischem Glanz St. Michael preisen kann, also - Putzen um zu Leuchten.
Was ist nun das denkmalpflegerisch richtige Pflegeziel?
- Alterswert erhalten?
- Wiederherstellung Leuchtkraft durch Substanzvernichtung?
- Tür ins vor Verwitterung schützende Depot verbringen, mit der
Folge der Vernichtung des Wirkungsbezugs?
War denn der Putzauftrag des Stifters überhaupt rechtswirksam?
Selbst die schönste Denkmallehre kann die kritische Entscheidung betr. des Eingriffs nicht vorwegnehmen bzw. ersetzen. Ist damit der seit den 50ern behauptete Wissenschaftsanspruch der Denkmalpflege überhaupt gerechtfertigt?? Damals erschuf sich die Denkmalpflege den Anspruch auf Wissenschaftlichkeit, um in der wissenschaftsgläubigen Gesellschaft ihre (immer fragwürdigen!) Eingriffe sozusagen mythologisch und unanfechtbar zu begründen.
Wie steht es denn mit der Tugend der Pietas?
Sind Tugenden denn lehrbar? Nach Sokrates jedenfalls nicht, nur Mäeutik (Hebammenkunst) bringt diese hervor, soweit sie im betreffenden Menschen als Eigenschaft überhaupt angelegt ist.
So wird der Konflikt der Denkmalpflege zum Tugendkonflikt. Sie darf nicht weiter zur Selbstverwirklichung des "Denkmalpflegers"/"Bauforschers" instrumentalisiert werden.
Denkmalpflege erfordert Gewissensentscheidung. Wie steht es damit? Sind denn vor denkmalpflegerischem Handeln, vor bauforscherischem Sucheingriff manche Zeugnisse der Vergangenheit ganz und gar vogelfrei?
Wann wird die Tugend der "Totenehrung" wieder Vorrang erhalten? Diese Tugend ist als Fest zu begehen! Aus ihr erwächst Verheißung für menschliches Wirken in der Zukunft ein langes Leben in Gottes Land. Das Opfer der Vergangenheit verheißt Freude. Die Zuwendung zu menschlichen Werten soll B und K eigentlich vermitteln. Daraus kann Hoffnung auf den Sinn menschlicher Existenz erwachsen. Diesbezügliches Festglück möge die Zukunft des Graduiertenkollegs bestimmen!