Prof. Dr.-Ing. habil. Claus Meier
Architekt SRL
1933-2015
Contra EnEV 2000
(Veröffentlicht mit einem "Pro"
von Prof. Hauser in leonardo-online 2/99)
Die Statements sollten nicht "Pro & Contra", sondern "falsch oder richtig" heißen, denn es geht hier nicht um veröffentlichte Meinungen, sondern um gesichertes Wissen. Nach Karl-Raimund Popper kann nur der Beweis geführt werden, daß etwas falsch ist. Beim "Contra" geschieht dies mit unwiderlegbaren Fakten. Mit dem Inkrafttreten der WschVO 1995 wurde schon die EnEV 2000 angekündigt. Es soll der Baubestand energetisch "ertüchtigt" werden. Diese Hektik macht mißtrauisch. Zu recht, denn inhaltlich und methodisch ist vieles weiterhin sehr fragwürdig, wenn nicht sogar falsch – Verunsicherung und Irreführung sind die Folge.
Irrtum Nr. 1:
Dies fängt bereits an, wenn Wärmeleitung sowie Wärmeströmung
(Teil der Thermodynamik) und Wärmestrahlung (Teil der Quantenmechanik)
methodisch gleichbehandelt werden. Bei zwei völlig verschiedenartigen
physikalischen Erscheinungen ist dieses Vermengen ein gravierender Fauxpas. Daraus resultieren falsche Ergebnisse.
Irrtum Nr. 2:
Der Gebäudewärmeschutz wird ausschließlich durch den
k-Wert (aktuell: U-Wert) der Außenhülle qualifiziert, der jedoch nur
für den Beharrungszustand, für stationäre Verhältnisse gilt
- das steht in jedem Bauphysik-Buch. In unseren Breitengraden liegen wegen
der 24stündigen Solarstrahlungs-Periode jedoch ständig instationäre
Verhältnisse vor. Mit dem k-Wert wird also schlicht und ergreifend
falsch gerechnet. Dies kann aus der Fourierschen Wärmeleitungsgleichung,
auf die immer wieder stolz hingewiesen wird, abgeleitet werden. Diese fehlerhafte
Berechnung trifft vor allem den Massivbau. Aber nach wie vor wird am k-Wert
dogmatisch festgehalten. So einfach geht das in einer gleichgeschalteten
und industriekonformen Wissenschaft ! Die Folge ist: Alle Wämebedarfsberechnungen
liefern Phantasieergebnisse. Energie-Verbrauchs-Analysen aus der gelebten
Praxis können dies empirisch untermauern.
Irrtum Nr. 3:
Soll nun trotzdem ein Beharrungszustand fälschlicherweise angenommen
werden, dann kommt das nächste Dilemma. Die Hyperbelform der k-Wert-Funktion
katapultiert die in der EnEV 2000 geforderten kleinen k-Werte in uneffiziente
Bereiche. Die Nachhaltigkeit ist nicht mehr gegeben, weil zusätzliche
Energie kaum eingespart werden kann - das ist unwiderlegbare Mathematik.
Dieses fatale Naturgesetz sieht konkret so aus:
5 cm Dämmstoff ergeben einen k-Wert von 0,8 W/m²K
10 cm Dämmstoff ergeben einen k-Wert von 0,4 W/m²K
20 cm Dämmstoff ergeben einen k-Wert von 0,2 W/m²K
40 cm Dämmstoff ergeben einen k-Wert von 0,1 W/m²K
Die Verdoppelung der Dämmung führt zu einer Halbierung des k-Wertes.
Daß hier eine Effizienzschwelle zu beachten ist, dürfte einleuchtend sein. Damit aber ist die Unwirtschaftlichkeit kleiner k-Werte unausweichlich gegeben. Welch makabres Spielchen also beim "Verschärfen des Anforderungsniveaus".
Irrtum Nr. 4: Durch das Wirtschaftlichkeitsgebot im Energieeinsparungsgesetz (§ 5) werden Nachhaltigkeit und Effizienz zwingend gefordert. Deshalb wird ständig behauptet, die Wirtschaftlichkeit sei gegeben. Dies ist eine Falschaussage.
Begründung:
Dämmstoffdicken über 6 bis 8 cm sind effizienzlos. Die wirtschaftlichen Grenzen der k-Werte liegen je nach Dämmstoffkosten und Einsatzort etwa zwischen 0,35 und 0,80 W/m²K, liegen also viel höher, als die in der EnEV 2000 geforderten k-Werte. Die großen Dämmstoffdicken sind somit gesetzwidrig, da sie nie wirtschaftlich zu realisieren sind; wer etwas anderes aussagt, präsentiert Mogelpackungen.
Konsequenz:
Der Planer muß sich gesetzestreu verhalten und Superdämmungen ablehnen; dies ist er seinem Bauherren gegenüber schuldig. Seine Verordnungstreue kann er durch Anwendung unter anderem des § 17 (ab EneV 2007: §25) "Befreiungen" für Härtefälle untermauern.
Irrtum Nr. 5: Es ist zu beachten, daß bei kleinen k-Werten die Wärmebrückeneffekte die (theoretischen) Gewinne zum Teil wieder zunichte machen. Die Wärmebrückenverluste werden in der EnEV 2000 für alle Konstruktionsarten durch konstante Werte berücksichtigt. Dies ist falsch, denn je nach Konstruktionsart und "k-Wert-Niveau" sind die Wärmebrückenverluste recht unterschiedlich – bei kleinen k-Werten eben sehr hoch.
Weitere Irrtümer:
Grundsätzliche Fehleinschätzungen führen zu weiteren Unzulänglichkeiten wie - zu den widersprüchlichen Regelungen eines notwendigen Lüftungsbedarfes, - zu der Verknüpfung von k-Werten der Außenwand mit dem Standard der Heizungsan- lage; dies widerspricht dem Wirtschaftlichkeitsprinzip der Einzelkomponenten, - der völlig widersinnigen Behandlung der "Warmwasserbereitung".
Was aber geschieht?
Trotz dieser klaren Fakten sollen nach dem Willen der Bundesregierung wahre Dämmstoffhalden eingebaut werden - und wer entsorgt eigentlich diesen Sondermüll? Die Anbieter hocken schon in Lauerstellung – das nächste Geschäft lockt.
Dieser bautechnische Widersinn wird nun auch noch nachhaltig propagiert. Für "Passivhäuser" werden 40 cm Dämmstoff als Zielwert genannt; energetisch zwar völlig nutzlos, aber sicher sehr zur Freude der Dämmstoffindustrie.
Um die nicht vorhandenen nominellen Energieeinsparungen (Hyperbel-Tragik) nun trotzdem gewaltig erscheinen zu lassen, werden diese "in Prozenten" angegeben und gehandelt.
Die "k-Wert-Verbesserungen beim "Irrtum Nr. 3" betragen ja jeweils 50 % - eine "gewaltiger Erfolg", doch die nominellen "Gewinne" werden immer kleiner und schrumpfen am Ende zum Nichts.
Weiter: Es heißt, durch die EnEV 2000 würden doch immerhin 25 - 30% Energie eingespart werden ! Allerorts meint man, damit sei die Heizkostenrechnung gemeint. Mitnichten! Die Basis ist das Anforderungsniveau der WschVO 1995! Damit aber schrumpft die "Einsparung" auf einen Minibetrag zusammen. Unwirtschaftlichkeit wird damit zum Normalfall.
Oft wird zur Durchsetzung dieser unwirtschaftlichen "Dämmstoffhäuser" als Druckmittel auch die Finanzierung mißbraucht. Die rechtliche Konfusion dank ministerieller Dekrete ist vollkommen. Auch Bußgelder (§ 18) sind vorgesehen, um eine "Nichterfüllung" in den Bereich einer Ordnungswidrigkeit zu rücken.
Die Seitenzahl der EnEV 2000 nimmt derartig zu, daß die Praktikabilität nicht mehr gegeben ist. Die Verweise auf unrealistische DIN-Normen wirken dabei verschlimmernd. Veränderte und zusätzliche Begriffsbestimmungen dienen eher der Verwirrung als der Klärung.
Weil all diese Gebäudedämmaktivitäten, die voller Widersprüche stecken, rational nicht zu begründen sind, werden in der Bevölkerung Ängste geschürt. Die Klimakatastrophe, der sorglose Lebensabend, das Ozonloch, die Überschwemmung weiter Landstriche, all dies muß herhalten, damit Geschäfte blühen, die, und das ist das Widersinnige und Betrügerische, auf diese "Bedrohungen" kaum einen Einfluß haben. Wenn Mathematik, Logik und Naturgesetze ernst genommen werden, zeigt sich der praktizierte Wärmeschutz als ein mühsam errichteten und krampfhaft abgestütztes Kartenhaus. In der Informationspolitik geschehen schon recht wundersame Dinge.
Resümee
Das Unverständnis beim Anwender, beim Endverbraucher bleibt nicht aus! Irrende Methodik und daraus resultierende Ungereimtheiten verbunden mit verwirrenden und wahrheitswidrigen Berechnungen werden dazu führen, daß immer mehr immer weniger verstehen werden – vielleicht auch sollen. Es handelt sich um ein bürokratisch-administratives Mammutwerk, das nicht mehr praxisgerecht gehandhabt werden kann. Mit jeder Novellierung werden die Absurditäten verfeinert. Gebäudewärmeschutz – quo vadis? Eine generelle methodische und inhaltliche Überarbeitung ist vonnöten. Karl Steinbuch stellt in seinem Buch "Maßlos informiert - die Enteignung unseres Denkens" unmißverständlich fest:
"Es ergibt sich zwangsläufig aus dem gegenwärtigen Umgang mit der Information, der - ähnlich dem Umgang der Alchimisten mit ihren Elixieren - mit Verstand und Verantwortung wenig, mit Unverstand, Täuschung und Betrug aber viel zu tun hat. Wir werden zugleich informiert, verwirrt und betrogen, wir sehen kaum mehr die Wirklichkeit, fast nur noch Kulissen und Spiegelbilder".
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Muß Architekt die Wirtschaftlichkeit eines Gebäudes optimieren?
BGB § 634 (Wandelung und Minderung nach Fristablauf), § 635 (Schadensersatz).
[IBR 1998, Architekten und Ingenieurrecht, S. 157]
Ein Mangel des Architektenwerks kann vorliegen, wenn übermäßiger Aufwand getrieben wird. Sofern die Nutzflächen und Geschoßhöhen nicht den Vorgaben entsprächen, könne die Planung mangelhaft sein. Das gleiche gelte, wenn bei der Wärmedämmung oder der Dachkonstruktion überflüssiger Aufwand betrieben worden sei. Eine unwirtschaftliche Planung könne auch dann mangelhaft sein, wenn sie sich im Rahmen der vorgegebenen Kosten halte.
Fazit: Entscheidend ist also die Wirtschaftlichkeit einer Baukonstruktion (Vermeidung übermäßigen Aufwandes). Ist die Wirtschaftlichkeit nicht gegeben, kann die Planung mangelhaft sein - mit allen Konsequenzen (Minderung des Werklohnes).
Volltext zu diesem Beitrag: Rechtliche Randbedingungen des Gebäudewärmeschutzes