Prof. Dr.-Ing. habil. Claus Meier
Architekt SRL
Neuendettelsauer Straße 39
90449 Nürnberg
Tel.: 0911/6897526 Fax: 0911/6897527
Niedrigenergie- und Passivhaus im Kreuzfeuer 9
Fakt Nr. 9:
Um den gegenwärtig auftretenden bautechnischen Widersinn nun irgendwie untermauern zu können, wird pseudowissenschaftlich und suggestiv mit Argumenten operiert, die allesamt versuchen, diese mit kriminellem Beigeschmack garnierten baukulturellen Fehlentwicklungen zu rechtfertigen.
1. Damit die nominell nur sehr gering vorhandenen Energieeinsparungen gewaltig erscheinen, werden diese ”in Prozenten” angegeben. Die ”k-Wert-Verbesserungen” beim Fakt Nr. 4 z. B. betragen ja pro Schritt jeweils 50 % - ein ”gewaltiger Erfolg”, doch die nominellen Gewinne und damit CO2 -Reduzierungen werden immer kleiner und schrumpfen am Ende zu einem Nichts! Dies ist das Verwerfliche bei diesen Prozentangaben.
Hier dann von einer maßgebenden CO2-Entlastung der Umwelt zu sprechen, ist ein baupolitischer Skandal. Der Kunde wird in Sachen Energieeinsparung permanent falsch und irreführend informiert. Diese ”Prozenthudelei” wird sogar offiziell gefördert. Was mit diesen leeren Worthülsen und Sprechblasen real herauskommt, sind geistige Verwirrspiele. Ehm sprach in seinen Beiträgen nur von prozentualen Größen – werden die Absolutzahlen genannt, würde die Absurdität und Nutzlosigkeit offenkundig werden.
2. Ein besonders hinterhältiger Trick in der ”empirischen Forschung” ist die Messung der inneren Wärmestromdichte (an der Innenoberfläche der Außenwand).
a) Bei geradliniger Temperaturverteilung (stationärer Betrachtung) ist es völlig egal, an welcher Stelle die Wärmestromdichte gemessen wird, sie ist ja über den ganzen Querschnitt konstant gleich groß. Somit kann durchaus davon ausgegangen werden, daß das, was innen an Energie hineingeht, auch außen wieder herausgeht. Dieses stationäre Verhalten einer speicherlosen Wand wird nun fälschlicherweise verallgemeinert.
b) Bei speicherfähigem Material jedoch liegen in Größe und Richtung unterschiedliche Wärmestromdichten vor (instationäre Betrachtung). Was hier innen an Energie hineingeht, geht keineswegs außen wieder heraus – im Gegenteil: durch absorbierte Solarenergie liegt ein Wärmestrom von außen nach innen vor, so daß die speicherfähige Außenwand von innen und von außen mit Energie beschickt wird, die dann, wo soll sie auch bleiben, in der Wand eingespeichert wird.
Wenn hier die ”innere Wärmestromdichte” gemessen wird, so bedeutet dies in keinem Falle, daß damit der Transmissionswärmeverlust der Außenwand beschrieben wird. Diese betrügerische Forschungsmethodik wird jedoch nun vielfach bei empirischen Untersuchungen eingesetzt – ständig werden ”innere Wärmestromdichten” gemessen, die, geradlinig extrapoliert, dann zu ”gemessenen Transmissionswärmeverlusten” erklärt werden. Dieser ”gemessene” Heizenergieverbrauch entspricht bei speicherfähigem Material (instationäre Verhältnisse) – also auch bei Altbauten – keinesfalls dem tatsächlichen Heizenergieverbrauch.
Hier wird dem Leser und Zuhörer nur ”experimenteller blauer Dunst” vorgemacht und ein völlig falsches Bild vorgegaukelt. Es gehört schon eine Portion Unverschämtheit dazu, so etwas den Bauleuten zu unterbreiten.
3. Frappierend wirken bei solchen Präsentationen dann immer die übereinstimmenden Kurven von ”Rechnung” und ”Messung”, oder wie es dann auch oft heißt, von ”Theorie” und ”Praxis”. Dies jedoch ist keineswegs ein Beweis für die Richtigkeit einer Transmissionswärmeverlustberechnung, denn das ist etwas ganz anderes (siehe Punkt 2b).
Was hier mit der ”Übereinstimmung” dokumentiert wird, ist lediglich die Fähigkeit, eine periodisch auftretende Datenfolge gemessener ”innerer” Wärmestromdichten durch eine Regressionskurve zu approximieren, das heißt, durch eine mathematische Funktion gut zu beschreiben. Dies geschieht relativ einfach durch eine Überlagerung von verschiedenen Sinus- und Cosinusschwingungen mit unterschiedlichen Amplituden und Phasen. Der ”Gleichklang” ist somit lediglich der Nachweis einer ausreichend guten Approximation gemessener Daten.
Da innere Wärmestromdichten jedoch nach 2b) die tatsächlichen Energieverluste nicht beschreiben, handelt es sich hier um perfekte dolose Machenschaften. Dem Leser wird ein Theaterspiel von Gauklern und Schaustellern vorgesetzt, das nur suggerieren soll, man hätte die gelebte Praxis theoretisch-rechnerisch voll im Griff – mitnichten. Mit der Approximation wird der tatsächliche Heizwärmeverbrauch überhaupt nicht berührt.
4. Der temporäre Wärmeschutz von Fenstern, der im Entwurf zur Wärmeschutzverordnung 1995 enthalten war, wird flugs wieder entfernt, weil damit die ”Notwendigkeit von Wärmeschutzgläsern” – selbst bei Akzeptanz der kF-Werte (siehe Fakt 6) – hinfällig werden würde.
Der Energieeinspareffekt durch einen temporären Wärmeschutz ist viel größer als der durch ”Wärmeschutzgläser”. Hier ist erwähnenswert, daß beim definierten Deckelfaktor nach Hauser auch noch methodisch falsch gedacht wird. Die überproportionale Wichtung des ja immer nachts eingesetzten temporären Wärmeschutzes infolge der größeren Temperaturdifferenzen wird einfach übersehen und damit der temporäre Wärmeschutz unterbewertet. Denkfehler über Denkfehler begleiten diese armselige Bauphysik.
Um Überheizungen zu mindern, werden nun auch noch ”Sonnenschutzgläser” entwickelt, die die fehlenden Jalousien und Fensterladen ersetzen sollen – allerdings mit kärglichen Resultaten – ständig geringe Lichtausbeute und geminderte Solargewinne, keine temporäre Verschattung.